Gedankenanregender Nachhall einer möglichen Vergangenheit

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nicky_g Avatar

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England, 1881: Charles Darwin beschäftigt sich mit dem Verhalten von Regenwürmern in seinem Landhaus in Kent, während Karl Marx in London seine Krankheiten pflegt und Engels dringende Bitten auf Fortsetzung seines Werkes „Das Kapital“ ignoriert. Beide Männer leisteten im 19. Jahrhundert Revolutionäres und stellten jeder in seinem Bereich die Sichtweise der Menschheit auf den Kopf: der eine hebelte mit wissenschaftlichen Fakten die christliche Schöpfungsgeschichte aus, der andere stellte ökonomisch-philosophisch die industrielle Entwicklung in Frage. Was wäre nun passiert, wenn sich beide begegnet wären? Schließlich wohnten sie nur wenige Kilometer voneinander entfernt.

Dieser Frage geht die Autorin Ilona Jerger gefühlvoll und wissend nach, ohne dabei in kitschige Szenen oder bloßstellende Argumentationen abzugleiten. Ihr Hauptaugenmerk ruht dabei auf Charles Darwin, den sie als normalen Mann präsentiert, der sorgfältig und gewissenhaft die Natur, die Tiere und auch seine Umgebung beobachtet, analysiert und in Listen verzeichnet. Was für uns heute selbstverständliche Tatsachen sind, bedeutete im 19. Jahrhundert eine Revolution, die viele in ihrem Glauben an Gott erschütterte, so dass Charles Darwin nicht bei allen beliebt war.

Wie sehr ihn dies beschäftigt, erfahren wir schon auf den ersten Seiten, auf denen von seinen Alpträumen berichtet wird. In zwei Zitaten, die dem (historisch nicht verbürgten) Dr. Beckett („Doch ein Mann wie er sieht nicht nur seine Erfolge, er hadert mit den Spänen, die beim Hobeln gefallen sind.“, S.93) und Diener Joseph („Er würde am liebsten das unverletzte Stück Holz und die fertige Skulptur in Händen halten.“, S. 93) in den Mund gelegt werden, ist es, als würde der Leser einen Blick durchs Schlüsselloch erheischen und den Menschen hinter dem Wissenschaftler begreifen.

Vielleicht sind manche Szenen allzu detailliert, wie die Untersuchung der Regenwürmer, aber dadurch bekommt man einen guten Eindruck vom Schaffen und Denken Darwins. Auch die Beschreibung von Karl Marx ist so plastisch, dass man meint, selber in dessen Arbeitszimmer zu stehen und seinen Blick über das Chaos schweifen zu lassen.

Gewissenhafte Recherche und eine behutsame Schreibweise sorgen für einen nachhaltigen Lesegeschmack und regen zum Nachdenken an über die Auswirkungen von bahnbrechenden Ideen und ihre Folgen, nicht nur für die Menschen, deren Weltbild erschüttert wird, sondern auch für die Verfechter.