Ich wäre gern in Down House geblieben!

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rauschleserin54 Avatar

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Die Rückenansichten zweier älterer Herren, zeigen zwei Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts, die die Welt verändert haben, Charles Darwin und Karl Marx und sie füllen mit fühlbarer Präsens das Cover dieses erzählerischen Glanzstücks von Ilona Jerger.

Wir lernen Darwin 1881 als älteren Herrn auf seinem Wohnsitz Down House, nicht weit von London entfernt, kennen. Er leidet an chronischer Schlaflosigkeit und auch sonst ist sein Allgemeinzustand nicht in bester Verfassung. Er liebt seine Frau Emma und ihre gemeinsamen Morgenrituale, wird umsorgt von seinem alten Diener Joseph und seine Polly, ein Terrier, folgt ihm überall hin. Er hat ein Tagespensum zu bewältigen, das ihn zwischen Gewächshaus und Arbeitszimmer in regelmäßigen Zeitabständen nach draußen in den herrlichen Garten führt. Er ist ein sympathischer Zeitgenosse, der mit sich selbst hadert, weil er durch seine Forschungen nicht mehr den Worten der Bibel glauben kann und weil ihn diese Erkenntnisse zwischendurch Streit mit Emma führen lassen. Darwin bekommt eines Tages einen neuen Hausarzt, Dr. Beckett, der auch ein besonderer Zeitgenosse ist, denn schon zur damaligen Zeit, betrachtet er den Patienten mit ganzheitlichem Ansatz, wie es auch Dr. Samuel Hahnemann vorlebte und therapiert seine Patienten etwas unkonventionell. Da er aber Erfolg hat, wird er zu wichtigen Persönlichkeiten gerufen. Ein weiterer illustrer Patient von ihm ist Karl Marx, der anders als Darwin eher schroff und ruppig daherkommt, aber nichtsdestotrotz ein großer Umdenker seiner Zeit ist und in England im Exil lebt.
Vermittelnd bringt Beckett die beiden Herren einander näher.....

Dieses Buch habe ich gelesen und mich nach ein paar Seiten so wohl gefühlt mit den Protagonisten und Nebenfiguren, das ich im Nachhinein das Gefühl habe, ich habe es in goldenes Herbstlicht getaucht erlebt. Ich war bei Darwin und Emma, bei ihrem vertrauten liebevollen Morgenritual, bin mit Darwin über die Kieselwege gegangen, habe sein Pferd nach dem großen Sturz weinen sehn.....Fast musste ich husten im staubigen und überladenen Arbeitszimmer von Marx und ich wurde vom Wunder der Anden in Chile erfasst, direkt neben dem jungen Darwin.

Die Autorin ist eine Meisterin im Fabulieren, es gibt keinen Satz, der nicht Bilder projeziert beim Leser und der liebevoll beim Betrachter ankommt. Sie kleinsten Situationen werden als besondere hervorgebracht. Genauso wie Darwin selbst ins Detail geht und stundenlang die Regenwürmer betrachten kann im Schein der Petroleumlampe bei ihrer Vereinigung. Nur um festzustellen, dass diese sich in keinster Weise vom Licht stören lassen. Es ist wunderbar und entspannend sich einfach dem Buch anzuvertrauen und auf die Reise zu gehen, um viel Besonderes, Wissenswertes, Aufrüttelndes und auch einiges zum Schmunzeln zu erfahren. Interessant sind die Gespräche der beiden großen Männer mit Beckett, dem Hausarzt, der sie auf seine Weise herausfordert, Dinge mal von einer anderen Warte aus zu betrachten. Nicht ohne Respekt und Wertschätzung.

Dieses Buch ist das herausragendste für mich in 2017, es ist besonders, es ist wunderbar, es ist wissenswert und regt zum Nachdenken an und noch nie habe ich die Sprache eines Autors so passend zur Zeit und so einfühlsam auf seine Charaktere zugeschnitten gelesen. Es ist ein Wohlfühlbuch mit großen weltbewegenden Themen und ich bin begeistert, dass das geht! Danke für den Lesegenuß Ilona Jerger. Dieser Roman bekommt von mir 5 Lesesterne, aber nur weil es mehr nicht gibt!