Spannender Thriller, spannendes Thema

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sternchen1202 Avatar

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Klappentext:
„Hast du Narben?“
Reeve blinzelte unsicher. „Ja.“ „Darf ich die mal sehen?“
Mein Name ist Reeve. Ich wurde als Zwölfjährige entführt und über mehrere Jahre vergewaltigt und gefoltert. Jetzt bin ich 22, seit langem in Therapie und mache gute Fortschritte. Heute treffe ich zum ersten Mal die kleine Tilly. Sie konnte als einzige von drei Mädchen ihrem Peiniger entkommen. Ihr Körper und ihre Seele tragen dieselben Narben. Tilly hat immer noch große Angst, denn der Mann, der ihr das alles angetan hat, läuft frei herum. Doch sie hat der Polizei nicht alles erzählt. Hoffentlich verrät sie mir ihr Geheimnis. Denn die Angst muss ein Ende haben.

„Und nachts die Angst ist ein Thriller mit der perfekten Mischung aus psychologischem Verständnis und atemberaubender Spannung.“ Jeffery Deaver

Erster Satz:
“Ihr Name war schon so lange aus den Schlagzeilen, dass niemand mehr nach ihr Ausschau halten würde.“

Carla Norton wurde im nordkalifornischen Redding geboren und studierte Journalismus.
Als Gerichtsreporterin und Autorin von erfolgreichen True-Crime-Büchern hatte sie sich längst einen Namen gemacht, als sie 2007 begann, ihren Master in Kreativem Schreiben zu machen.
„Und nachts die Angst“ ist ihr Thrillerdebüt.

Inhalt:
Reeve, wie sie sich heute nennt, wurde mit 12 Jahren entführt, jahrelang gefangen gehalten, vergewaltigt und gefoltert. Heute ist sie 22 Jahre alt, lebt in der Nähe ihrer Familie in San Francisco, befindet sich noch immer in Therapie und versucht ihr Leben zu meistern. Jedoch hat sie immer noch mit den Folgen des erlebten Grauens zu kämpfen.
Als ihr Therapeut zu einem ähnlichen Fall gerufen wird, soll auch Reeve mit dem befreiten Mädchen sprechen. Tilly fasst sehr schnell Vertrauen zu Reeve und vertraut ihr ein Geheimnis an, was sie der Polizei nicht erzählen kann. Sie wurde nicht nur von einem Mann gefangen gehalten…
Doch es sind noch zwei weitere Mädchen verschwunden, die es zu finden gilt. Reeve beginnt auf eigene Faust zu ermitteln, da sie Tilly versprochen hat, ihr Geheimnis zu bewahren. Doch damit begibt sie sich sehr nahe an den Abgrund und zieht die Aufmerksamkeit des Bösen auf sich.

Beurteilung:
Carla Norton ist mit „Und nachts die Angst“ ein durchaus spannender Thriller gelungen, der ein sehr brisantes Thema aufgreift: Es geht um Langzeitentführungsopfer, deren Qualen und die Auswirkungen auf das Leben danach. Norton schafft es, dieses Thema gut und ausführlich darzustellen, indem sie immer wieder detailiert die Gefühl der Opfer schildert. Durch Reeve gelang es mir sehr leicht, mir vorzustellen, welche Ängste sie immer noch ausstehen muss, wenn sie fremden Menschen begegnet. Auch erfährt der Leser etwas über die psychologischen Hintergründe, z.B. das Stockholmsyndrom wird genauer beleuchtet (Hannahs Wut aber auch Sorge um ihren Entführer). Norton schafft es dieses Thema mit großem Fingerspitzengefühl zu schildern, ohne auch nur ansatzweise dem Reißerischen zu verfallen.
Reeve ist mir hierbei wirklich ans Herz gewachsen: Auch wenn sie zu Beginn noch sehr unsicher und von der Vergangenheit gefangen war, macht sie doch im Laufe der Handlung eine großartige Entwicklung durch. Zuerst will sie gar nicht mit Tilly sprechen, doch schnell gewinnt sie das Mädchen lieb und sieht sich selbst auch in ihr. Reeve ist nun bereit Nähe zu einem Menschen zuzulassen, was ihr vorher nicht einmal bei ihrer Familie möglich war. Daher finde ich auch Tillys Ausspruch zu Reeve sehr passend: „(…) LeClaire [Reeves Nachname] heißt Licht, oder? Das bist du.“ (S. 355).
Gut gefallen hat mir vor allem, dass ich nicht nur Reeves Heilungsprozess begleiten konnte, sondern auch andere Perspektiven erleben konnte. Obwohl Reeve die Hauptperson des Thrillers ist, lernt der Leser auch die Perspektiven der anderen entführten Mädchen, deren Familien, des Reporters Otis Poe, der Ermittler und vor allem des Verbrechers kennen. Durch diesen Schreibstil gelang es Norton, das Thema sehr facettenreich darzustellen: Es wird keine Ansicht außer Acht gelassen, wobei selbstverständlich der Schrecken eines solchen Verbrechens im Vordergrund steht.
Begeistert war ich von der Raffinesse des Verbrechens, was sich Norton erdacht hat: Die Mädchen werden zwar von einem Mann entführt, verantwortlich für diese Entführung ist jedoch ein anderer. Dieser andere steht im Hintergrund von allem und scheint wirklich an alles gedacht zu haben. Er überwacht großflächig das Umfeld der Mädchen, hat seine Quellen sowohl bei der Polizei als auch bei der Presse und scheint jeglichen Kontakt für sich und seine Verbrechen nutzen zu können. Teilweise war ich wirklich verzweifelt, weil keiner der handelnden Personen ihm entkommen kann. Gleichzeitig macht dies jedoch auch die Faszination an dem Thriller „Und nachts die Angst“ aus.
Zur Spannung tragen weiterhin die vielen kurzen Kapitel (insgesamt 80 auf 398 Seiten) bei, die sehr oft neue Leerstellen eröffnen, die dann erst wesentlich später gefüllt werden. Obwohl mir dieser Stil gut gefallen hat, viel mir auf, dass ich zwar gespannt weiterlesen wollte, jedoch meist enttäuscht war, dass das neu aufgegebene Rätsel erst drei Kapitel weiter aufgelöst wurde. Das hat mich leider etwas gestört und die Spannung riss für mich an manchen Stellen deutlich ab.
Leider war für mich auch das Ende sehr vorhersehbar. Reeve will die Stadt verlassen, nachdem der Fall aufgeklärt zu sein scheint – schon hier stutzte ich: Lässt sich ein solch durchtriebener Täter, der an alles zu denken scheint, wirklich so schnell überführen? Mein Gefühl sollte mir recht geben. „Mister Monster“, wie Tilly ihn nennt, ist mit Reeve noch lange nicht fertig: Sie ist daran Schuld, dass er seine Mädchen verloren hat, weswegen er auf Rache sinnt. Diese Tatsache zeichnete sich jedoch sehr schnell ab, wodurch mich das Ende nicht überraschte.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass „Und nachts die Angst“ ein sehr gelungener Thriller ist, der sich mit einer sehr ernsthaften Thematik befasst, der man nicht alltäglich begegnet. Gerade die Figuren und die psychologischen Hintergründe gefallen mir sehr gut, weswegen ich auch 4 von 5 Sternen vergebe.