Beeindruckend und bedrückend

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laberladen Avatar

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Darum geht’s:

Cora lebt als Sklavin der dritten Generation auf der Plantage der Randalls. Seit ihre Mutter geflüchtet ist, muss sich das junge Mädchen alleine durchschlagen und obwohl Cora eine starke Persönlichkeit ist, bleibt auch sie von Gewalt und Willkür nicht verschont. Als der Sklave Caesar sie bittet, mit ihm zusammen zu fliehen, zögert sie erst. Doch dann macht sie sich doch mit ihm auf den Weg durch die Underground Railroad auf der Suche nach Freiheit.

So fand ich’s:

Das Leben, das Cora und die anderen Sklaven auf der Plantage der Randalls führen, ist hart und brutal. Nicht nur die weißen Herren leben ihren Sadismus willkürlich an den Sklaven aus, sondern auch unter ihnen herrscht eine gewisse Hierarchie, und Gewalt kommt auch unter Sklaven vor. Man versteht, wieso immer wieder Sklaven ihr Leben riskieren und lieber einen grausamen Foltertod in Kauf nehmen, wenn ihre Flucht misslingt, als auszuharrren und das Leben auf der Plantage zu ertragen. Doch auch als Cora sich zur Flucht entschlossen hat, ist sie immer wieder abhängig von anderen und muss auf Großherzigkeit hoffen – wohl wissend, dass die Hilfsbereitschaft auch den Helfern das Leben kosten könnte.

Weitestgehend beschreibt das Buch die Erlebnisse Coras in nüchternem Erzählstil. Manchmal fast schon lakonisch wird das schreckliche Leben auf der Plantage geschildert, genauso wie die Grausamkeiten, die Cora auf ihrer Flucht begegnen. Wahrscheinlich ist so eine undramatische Erzählweise genau richtig, denn wenn man sich zu emotional in die Geschichte fallen lässt, könnte man verzweifeln bei dem Gedanken, was Menschen anderen Menschen antun, nur weil sie eine andere Hautfarbe haben. Sie werden ja nicht einmal als Menschen gesehen, sondern erscheinen in den Augen ihrer Besitzer oft genug als so etwas wie Halbaffen ohne Gefühle und Verstand.

Hauptsächlich erzählt uns Cora ihre Geschichte selbst, aber es werden auch immer wieder kurze Kapitel eingeschoben, die die Hintergründe der Menschen beleuchten, mit denen Cora zu tun hat. Das macht auch scheinbar gleichgültige oder bösartige Leute menschlich und rundet das Bild über das hinaus ab, was Cora selbst weiß.

Im Vorspann zu diesem Roman wird erläutert, dass die „Underground Railroad“ nicht tatsächlich als unterirdische Bahnlinien existiert hat, sondern ein Synonym für ein Netzwerk von Helfern und Unterschlupfen war und auch als Codierung in Unterhaltungen diente. Leider scheint dieses wichtige Vorwort nur in den Leseexemplaren vorhanden zu sein und in der Ausgabe für den Buchhandel zu fehlen, wie ich der Rezension von Jemima auf dem Blog Hochhorst entnehmen kann. Das finde ich sehr schade.

Wieso sich der Autor entschlossen hat, diese unterirdische Eisenbahn im Buch als Tatsache darzustellen, weiß ich nicht. Ich fand es zwar schon glaubhaft erzählt, aber da man weiß, dass es nicht wirklich so war, bietet genau dieser Kniff ein Schlupfloch für alle Zweifler, die einwenden könnten, dass auch andere glaubhaft geschilderte Passagen historisch nicht korrekt sind. Und ich habe mich auch wirklich gefragt, was nun historisch verbürgte Tatsachen sind und was der Fantasie des Autors entsprungen ist. Gab es den Plan, Schwarze durch Tricks oder Lügen zu einer Sterilisation zu bringen, um zu verhindern, dass die schwarze Bevölkerung überhand nahm? Bestand diese Möglichkeit einer überwiegend schwarzen Bevölkerung tatsächlich in manchen Staaten? Waren die genannten Bevölkerungszahlen echt oder nur eine ausgedachte Ergänzung wie die Underground Railroad selbst? Existierten diese Ausstellungen, in denen lebende Personen Szenen aus Afrika oder der Reise in die USA nachstellten, wirklich? Durch die Möglichkeit, dass Teile seiner Erzählung nur erfunden waren wie die Railroad, hat Whitehead seiner Erzählung ein bisschen den Schrecken genommen, was ich schade fand. Die Tatsachen sprechen für sich und eine fiktive Lebensgeschichte in historisch korrekter Umgebung hätte mir besser gefallen und mich wahrscheinlich noch viel mehr ergriffen.

Während des Lesens drängten sich mir gewisse Parallelen auf zur Zeit des dritten Reiches, als Juden unter ähnlichen Umständen wie Cora versteckt wurden. Oder man ihnen unter Einsatz des eigenen Lebens zur Flucht verholfen hat. Aber auch zur Problematik der vielen Zuwanderer, die sich auch äußerlich vom Durchschnittsdeutschen unterscheiden und die nicht wenigen Leuten Angst davor machen, dass sie das Erscheinungsbild zu sehr prägen und das Althergebrachte verdrängen – genau wie die Vielzahl der geflüchteten Sklaven manche Städte und Landstriche prägten.

Denn leider ist das geschilderte menschliche Verhalten zeitlos und nicht nur auf den Zusammenhang der Rassenproblematik und Versklavung der schwarzen Bevölkerung beschränkt. Quer durch alle Zeiten und Nationen wird immer wieder die Gelegenheit genutzt, auf dem Rücken der Schwachen und ihrer Helfer die eigenen Interessen durchzusetzen, bereitwillig bösartige Gerüchte weiterzuerzählen und unliebsame Nachbarn und Konkurrenten loszuwerden. Man stellt das eigene Wohlergehen an oberste Stelle und überall werden die Schwächen der menschlichen Natur deutlich. Es gibt aber damals wie heute Menschen, die selbstlos ihr Leben riskieren, um zu helfen und das Unrecht wieder ein bisschen auszugleichen.

Insofern ist „Underground Railroad“ nicht nur ein bedrückend realistisches Zeugnis und eine Erinnerung an die Sklaverei in den US-Amerikanischen Südstaaten, sondern das Thema hat durchaus darüber hinaus Bedeutung. Deshalb wird mich das Buch so schnell nicht loslassen.