Der amerikanische Imperativ

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
jazebel Avatar

Von

Normalerweise bin ich ja nicht der Hochliteratur-Typ und Verkaufsargumente wie diverse erhaltene Preise wie der Pulitzer-Preis und der National Book Award schrecken mich eher ab. Solche Bücher sind ja leider oft hochtrabend geschrieben, schön im Stil und arm in der Handlung.

Nicht so aber dieses hier. Die Geschichte um die Sklavin Cora, die den schlimmen Zuständen auf der Plantage entfliehen will und einfach nur frei sein möchte, hat mich völlig in ihren Bann geschlagen. Von Helene Grass einfühlsam und trotzdem kraftvoll auf sieben Audio CDs vorgetragen, kann man dem Sog der Handlung nicht entfliehen. Man erlebt Coras Flucht, das Leben der Sklaven auf der Plantage, Helfer und Verräter, Häscher und falsche Freunde und fühlt sich dabei als würde es einem selbst geschehen.
Wichtig zu wissen ist, das der Autor Colson Whitehead sich einige künstlerische Freiheiten genommen hat. Dieses Buch gibt nicht zur Gänze exakte historische Tatsachen wieder, manches ist frei erfunden, anderes manchen Berichten und Erzählungen entlehnt, das erlittene Unrecht von Millionen jedoch ist historischer Fakt. Die Underground Railroad selbst ist weniger, selbst wenn im Buch so beschrieben, als Eisenbahn zu verstehen, denn als Metapher für das Untergrundnetzwerk welches den Sklaven im Buch auf versteckten und verschlungenen Pfaden half. Man sollte also keinen bis ins Detail genauen Historienroman erwarten, Aufschluss hierzu gibt auch das Booklet des Hörbuchs.

Ein absolutes Highlight ist der Charakteraufbau von Whiteheads Protagonisten. Sie sind durchweg glaubwürdig und authentisch, nie hat man das Gefühl jemand denke oder handele in einer Art nur weil es so politisch korrekt wäre. Selbst die Antagonisten wie der Sklavenjäger Ridgeway haben authentische Beweggründe für ihre Taten, ihre eigene Geschichte und ihre eigenen Denkweisen und sind nicht „einfach nur böse“. Auch Cora, wegen Mordes gesucht, denkt intensiv über ihre Tat nach, die nach heutigem Rechtsverständnis wohl eher als Notwehr betrachtet werden würde.

Die Zustände, das Elend und die permanente Angst und Unterdrückung der Schwarzen schildert der Autor derart eindrücklich und auf eine detaillierte Art grauenhaft, dass es selbst mich als Thrillerfan an meine Grenzen gebracht hat.

Dieses Buch ist: eindrücklich, grauenerregend, fesselnd, traurig, schön, hoffnungsvoll und hoffnungslos. Definitiv ein literarisches Highlight 2017, ein Buch über das man sprechen wird und sprechen muss.