Ein bewegendes Buch, spannen und historisch bedrückend akkurat.

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Bei diesem Buch muss man wohl unweigerlich zunächst an "Roots" (Wurzeln) von Alex Haley oder vielleicht sogar an "12 Years a Slave" (Zwölf Jahre als Sklave) denken und doch wird allein schon anhand des Titels "Underground Railroad" schnell klar, dass es doch in eine ganz andere Richtung gehen wird.
Colson Whiteheads schreibt einen brisantes und obwohl historisch geerdet, mehr als aktuellen Roman, der gerade den heutige Rassismus in den USA erschreckend reflektiert und vielleicht aber zum Teil begreiflich macht. Das erst was bei diesem Buch auffällt, es ist handwerklich gut geschrieben, eine ergreifende Sprache ohne den Lesefluss zu beeinträchtigen, was sicher auch auf die mehr als gelungene Übersetzung von Nikolaus Stingl zurückzuführen ist. Das zweite Herausstellungsmerkmal ist wohl die unglaublich präzise und detaillierte Einordnung ist das geschichtliche Umfeld, natürlich mir den Freiheiten in Puncto "Untergrund Eisenbahn", auch wenn dieser Begriff und das macht das Buch so reizvoll, als Begriff und quasi Institution ebenfalls existierte. Ist es doch ein Symbol für das informelle Netzwerk, das Sklaven auf der Flucht aus den Südstaaten der USA nach Norden unterstützt hat.
Auch wenn dieses Buch geschichtlich geerdet ist, habe ich doch in letzter Zeit selten ein so spannendes und vor allem fesselndes Buch gelesen. Im Fokus stehen zwei große Protagonisten, die Sklavin Cora, die in die Freiheit fliehen möchte, sich nicht länger mit einem Schicksal der Unterdrückung und Ausnutzung abfinden will. Auf dem Weg durch verschiedene Bundesstaaten, mit jeweils ganz eigenen Gesetzen wie mit Sklaven / Sklaverei umzugehen ist hat sie einen Gegenspieler, den Sklavenfänger Ridgeway (Nachtreiter), der die Mutter von Cora ebenfalls jagte, aber nie zufassen bekam und nun ein besonderes Interesse an der Tochter hat. Die Jagd, der Jäger ist besonders grausam, wütend und dämonisch, den dafür ist der Nachreiter bekannt. Dabei wird der Leser nie geschont und doch ist es kein Splatter Orgie oder Horror, es ist einfach ein Bild der Zeit, wie es sich zugetragen hatten, was Whiteheads minuziös aus diversen historischen Erzählungen der Sklaven studiert hat. Enttäuschung, wenn die Flucht in einer Sackgasse endet, Blendungen, wenn Sklaven versuchen zu lesen und körperliche Verstümmelungen für Fluchtversuche und Diebstahl und natürlich Vergewaltigung sind sie eben, leider, ein Bild dieser Zeit und doch beschreibt der Autor dies nicht nur um des puren Akt der Grausamkeit, sondern immer auch als Spiegel der Zeit. Das gelungene Spiel aus Jäger und Gejagter, der das menschliche nie aus den Augen verliert, ist fesselnden und informativ bis zur letzten Seite.
Auch wenn das Buch nicht oder nur marginal mit den erwähnten Klassikern vom Eingang zu tun hat, ist es doch ein geschickt geschriebenes Buch, dass mit den Emotionen der Lesern spielt und kaum etwas offen lässt, nicht umsonst hat es 2017 den Pulitzer-Preis und den National Book Award 2016 erhalten. "Underground Railroad" ist ein neuer Klassiker, der zukünftig vermutlich in einem Atemzug mit "Roots" (Pulitzer-Preis 1977) genannt wird. Gewinnbringend sind auch die einführenden Worte die zeigen, wie sehr Colson Whiteheads dieses Thema als Erbe einer Generation immer noch bewegt und eine ganze Nation im Kern wohl nie gänzlich loslassen wird. Auch wenn es diese Form der Sklaverei heute nicht mehr gibt, die Vorurteile und der Rassismus dominiert auch diese Epoche, auch das zeigt das Buch eindrücklich.