Mehr als ein Zug in die Freiheit

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scarletta Avatar

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Georgia kurz vor dem Beginn des amerikanischen Bürgerkriegs:
Cora ist eine Sklavin auf einer Baumwollfarm - in dritter Generation, ihre Großmutter wurde noch in Afrika geboren. Für Sklaven ist das Leben eh die Hölle, für Cora aber ganz speziell. Denn sie gilt innerhalb ihrer Sklavengemeinschaft als Außenseiterin, ja Ausgestoßene, seitdem ihre Mutter ohne ihre kleine Tochter floh.
Als Caesar, der neu aus Virginia auf die Plantage kommt, ihr von der "Underground Railroad" erzählt, eine Möglichkeit, der Sklaverei zu entkommen, willigt Cora nach anfänglichem Zögern ein. Mit der Flucht entscheiden sie sich, ein erschreckendes Risiko einzugehen - bei Gefangennahme droht ein grauenhafter Tod.

Die Dinge laufen nicht wie geplant, Cora tötet unterwegs aus Notwehr einen jungen Weißen. Es gelingt ihnen zwar eine Station zu finden, die sich Richtung Norden leitet, aber sie werden gejagt.

In Whiteheads genialer Vorstellung ist die "Underground Railroad" im Roman nicht lediglich eine historische Metapher für eine Gemeinschaft von Gegnern der Sklaverei, die im Untergrund wirkt und entflohenen Sklaven Fluchthilfe, -weg und Unterschlupf bietet, sondern eine reale Untergrund Eisenbahn: Eine Eisenbahn mit Lokführern, Schaffnern, einem geheimen Schienennetz, Tunneln und Stationen unter dem Boden der Südstaaten. Auf diesen Schienen soll es Richtung Freiheit gehen.
Ein Fantasy-Element in einem ansonsten sehr realistischen Sklavenroman! Aber Whitehead geht vorsichtig damit um, baut es nicht weiter aus, verliert sich nicht darin.

Das ist gut so, denn damit ist ihm ein erzählerisches Kunststück geglückt, Cora überwindet so große Strecken (ohne langatmige Wegbeschreibungen) und wird an neuen Stationen in anderen Bundesstaaten des Südens mit vollkommen unterschiedlichen Situationen konfrontiert.

Der erste Halt führt Cora und Caesar nach South Carolina, wo sich die beiden fast schon zu sicher fühlen, bevor Cora heimtückische Machenschaften um medizinische Experimente mit schwarzen Bewohnern entdeckt.
Außerdem sitzt ihnen Ridgeway, der skrupellose, gewiefte Sklavenjäger bereits im Nacken.
Atemlos hetzt Cora auf ihrer Odyssee von Staat zu Staat, um einen sicheren und freien Ort zu finden.
An jeder Station ihrer Flucht erfährt sie von neuen unfassbaren Schrecken und Grausamkeiten, die die schwarze Bevölkerung, seien es Sklaven oder Freigelassene, bedrohen und widerfahren. Sie knüpft Freundschaften, lernt die Liebe kennen - und verliert wieder alles.
"Und auch Amerika ist eine Illusion, die größte von allen. Die weiße Rasse glaubt - glaubt von ganzen Herzen - dass sie das Recht hat, das Land zu rauben, Indianer zu töten, Krieg zu führen. Ihre Brüder zu versklaven. Wenn es irgendeine Gerechtigkeit auf der Welt gibt, dürfte diese Nation nicht existieren, denn ihre Grundlagen sind Mord, Diebstahl und Grausamkeit."

Mich haben die realistischen Schilderungen traumatisierter Menschen auf der Suche nach Freiheit und die ungeschönten Ausmaße der Grausamkeiten von Sklaverei und Rassismus ziemlich mitgenommen. Aber immer wieder hat mich der Roman durch seine Form und Art der Darstellung fasziniert. Gibt es in der dunkelsten Phase der Geschichte ein Licht am Ende des Tunnels?

Whitehead erhielt für seinen Roman bereits die wichtigsten Literaturpreise der USA: den "National Book Award" und den "Pulitzer Preis 2017".

Die neuesten Ereignisse z.B. in Charlottesville/Virginia unterstreichen die Wichtigkeit dieses Buches. Nicht nur das:
Das Bild der bekanntesten afroamerikanischen Fluchthelferin der historischen "Underground Railroad" - Harriet Tubman - soll eigentlich das des Präsidenten, Indianerhassers und Sklavenhalters Andrew Jackson auf der 20-Dollar-Note ersetzen. Präsident Trump findet diese Entscheidung zu hart und bezeichnet sie als "bloße politische Korrektheit" ("pure political correctness").