Interessanter Krimi aus einem neuem Blickwinkel

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heather_h Avatar

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*INHALT*
Ruth Holländer hat ihr Leben im Griff - oder glaubt es zumindest. Seit 5 Jahren führt sie ein kleines französisches Bistro zusammen mit ihrer Mitarbeiterin und mittlerweile besten Freundin, ihre Kinder sind fast erwachsen und die Beziehung zu ihrem Exmann ist spannungsgeladen, aber okay. Der Alltag besteht größtenteils aus der Arbeit im Bistro, die sie jedoch liebt und ihr leicht von der Hand geht.
Bis sie zur Schöffin berufen wird - und ihr erster Fall hat es in sich. Es geht um einen angeblichen Ehrenmord; ein junger kurdischer Mann wird verdächtig seine Schwester ermordet zu haben; die beiden sind nur wenig älter als Ruths eigene Kinder. Doch Aras, der Angeklagte, macht nicht dein Eindruck eines eiskalten Mörders, und die Anklage stützt sich nur auf Indizien.
Der Fall lässt Ruth nicht mehr los, und sie beginnt, sich und anderen Fragen zu stellen, um zu verindern, dass ein möglicherweise unschuldiger junger Mann ins Gefängnis kommt.


*MEINE MEINUNG*
Schon auf den ersten Seiten wird klar, dass Ruth Holländer keine typische Heldin ist - sie ist nicht perfekt, sie ist nicht wunderschön und sie hat alltägliche Probleme, vor allem mit ihrer pubertierenden Tochter. Doch sie ist sympathisch und aufrichtig und besitzt ein stark ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl. Außerdem ist sie sehr feinfühlig und achtet beim Fall auf Nuancen - auf Blicke und Mimik, die sie zu deuten und zu einem Gesamtbild zusammen zu setzen versucht.
Insgesamt wirkt der Charakter sehr gut durchdacht und stimmig; es macht Spaß, Ruth kennen zu lernen und bei ihrem neuen Schöffenamt zu begleiten.
Auch die anderen Figuren sind teilweise ein klein wenig stereotyp, doch immer so weit individualisiert, dass es nicht störend auffällt.

Die Handlung und die verschiedenen Wendungen innerhalb des Falls sind glaubhaft dargestellt und halten die Spannung aufrecht. Die Autorin nutzt kurze Rückblenden in die Tatnacht (aus der Perspektive des Opers Derya) als Stilmittel, die jedoch sorgfältig und gut dosiert in die Handlung gestreut sind und dem Leser nie zu viel verraten. Der Schreibstil liest sich insgesamt sehr flüssig und angenehm - ich habe nur wenig Zeit gebraucht, um hinein zu finden und konnte das Buch anschließend kaum aus der Hand legen.

Durch die recht neue Perspektive der Schöffin (und nicht wie sonst des Kriminalbeamten) ergibt sich für die Protagonistin nur wenig Ermittlungsspielraum und sie ist auf die Geschehnisse während der Verhandlungen angewiesen, um sich ein Bild machen zu können - doch die Autorin hat das geschickt gelöst, (trotzdem) eine fesselnde Geschichte entworfen und auch durch die Thematik des Ehrenmords ein aktuelles Thema angeschnitten und dazu neue Fragestellungen aufgeworfen.

Ich freue mich sehr auf Ruth Holländers nächsten Fall, den ich definitiv lesen werde.