Erstaunliches Debut

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chomaky95 Avatar

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Jennie Godfreys Debütroman Unser Buch der seltsamen Dinge verbindet auf bemerkenswerte Weise eine Coming-of-Age-Geschichte mit der gesellschaftlichen Atmosphäre Nordenglands in den frühen 1980er-Jahren. Vor dem Hintergrund der realen Bedrohung durch den Serienmörder Peter Sutcliffe erzählt Godfrey von Freundschaft, Kindheit und den prägenden Erfahrungen des Heranwachsens in einer von Angst und Unsicherheit geprägten Zeit.

Erzählweise und Stil

Godfrey gelingt es, eine authentische Kinderperspektive einzunehmen, ohne dass der Roman an literarischer Tiefe verliert. Ihr Schreibstil ist klar und atmosphärisch dicht, mit einer bildhaften, aber unaufdringlichen Sprache, die das Zeitkolorit der frühen 80er-Jahre eindrucksvoll einfängt. Die Dialoge wirken natürlich, und die kindliche Sichtweise ermöglicht es der Autorin, gesellschaftliche Entwicklungen indirekt, aber wirkungsvoll zu reflektieren.

Besonders hervorzuheben ist die Art und Weise, wie Godfrey Spannung aufbaut. Obwohl der Roman keine klassische True-Crime-Erzählung ist, sondern sich vor allem auf die Auswirkungen der Verbrechen auf die Gesellschaft konzentriert, ist eine unterschwellige Bedrohung stets präsent. Dies geschieht jedoch nicht durch reißerische Darstellungen oder explizite Gewaltschilderungen, sondern durch subtile Andeutungen und die Reaktionen der erwachsenen Figuren, die aus Sicht der kindlichen Erzählerin oft nur bruchstückhaft verständlich sind.

Thematische Tiefe und historischer Bezug

Ein zentrales Element des Romans ist die Verarbeitung realer Ereignisse in einer fiktionalen Geschichte. Die Morde des „Yorkshire Rippers“ Peter Sutcliffe erschütterten Großbritannien in den 1970er- und 80er-Jahren nachhaltig. Statt jedoch die Taten selbst in den Mittelpunkt zu stellen, richtet Godfrey den Fokus auf die gesellschaftlichen Auswirkungen: das wachsende Misstrauen, die veränderten Sicherheitsmaßnahmen und die Art, wie Erwachsene über Angst und Gefahr mit (oder eben nicht mit) ihren Kindern sprechen.

Godfrey bringt dabei auch ihren persönlichen Bezug zu den Ereignissen ein, was dem Roman eine besondere Authentizität verleiht. Man merkt, dass sie nicht nur historische Fakten verarbeitet, sondern sich intensiv mit der emotionalen und psychologischen Dimension der damaligen Zeit auseinandergesetzt hat. Besonders eindrucksvoll ist die Darstellung der Rolle von Frauen in dieser von Angst geprägten Gesellschaft – ein Thema, das auch heute noch von großer Relevanz ist.

Fazit

Unser Buch der seltsamen Dinge ist weit mehr als eine nostalgische Rückschau auf eine vergangene Zeit. Jennie Godfrey nutzt eine kindliche Erzählperspektive, um komplexe gesellschaftliche Dynamiken verständlich und greifbar zu machen. Ihr Stil ist präzise, atmosphärisch und voller feinfühliger Beobachtungen. Die Verknüpfung von historischen Ereignissen mit einer persönlichen Erzählung ist ihr auf bemerkenswerte Weise gelungen.

Der Roman eignet sich besonders für Leserinnen und Leser, die sich für literarische Auseinandersetzungen mit realen historischen Ereignissen interessieren und Wert auf eine gut durchdachte Erzählweise legen. Ein starkes Debüt, das lange nachhallt.