Eine zarte Liebesgeschichte

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evelynm Avatar

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Unter dem poetischen Titel „Unsere Seelen bei Nacht“ ist Kent Haruf ein gefühlvoller Roman über das Glück einer späten Liebe gelungen. Es ist schade, dass es der letzte Roman des Autors war und seine anderen Bücher noch nicht in die deutsche Sprache übersetzt wurden. Denn diese schöne kleine Geschichte von Addie und Louis ist ein literarisches Juwel.
Der Einstieg in den Roman beginnt mit dem Satz „Und dann kann der Tag, an dem Addie Moore bei Louis Waters klingelte.“ und der Leser platzt sofort in das Leben der beiden alten Leute hinein. Addie und Louis leben in der fiktiven Stadt Holt inmitten der Prärie Colorados, so wie anscheinend alle seine Romane.
Die beiden verwitweten Nachbarn Addie und Louis – beide etwa 70 Jahre alt - haben nur ganz wenig Berührungspunkte, bis Addie Louis einen ungewöhnlichen Vorschlag macht. Da sie beide alleine leben und einsam sind, könnten sie die Nächte gemeinsam verbringen. Es ginge ihr dabei nicht um Sex, sondern darum, die Nacht mit Reden und Nähe zu überstehen. Louis ist überrascht und lässt sich auf den Vorschlag ein. Er bewundert Addie für ihren Mut und ihr Selbstbewusstsein. So geht Louis bald jede Nacht zu Addie – dabei nutzt er nach kurzem Zögern die Vordertüre. Addie mag keine Heimlichkeiten und es ist ihr egal, was ihre Mitmenschen denken. Nachts erzählen sich die beiden aus ihrem Leben, ihren Schicksalsschlägen und aus gegenseitiger Sympathie entwickeln sich zarte Gefühle. Die beiden möchten auf ihre Gespräche und gemeinsamen Nächte nicht mehr verzichten und versuchen das Gerede der anderen zu überhören. Als Addies Sohn Gene von seiner Frau und Mutter seines Sohnes Jamie verlassen wird, gib er diesen eines Tages bei Addie ab. Fürsorglich und wie selbstverständlich kümmert sich von nun an auch Louis um den 8jährigen Jamie, der nachts von Albträumen geplagt wird. Die drei wachsen zu einer kleinen Familie zusammen und bald hilft Jamie Louis bei der Gartenarbeit. Sogar einen Hund aus dem Tierheim bekommt Jamie, damit er sich nicht so einsam und verlassen fühlt. Jamie wird immer zugänglicher und fröhlicher. Doch dann kehrt Jamies Mutter zu Gene zurück und sie wollen Jamie zurückholen und wieder als Familie leben. Das stürzt nicht nur Jamie in ein Gefühlschaos, sondern bringt den beiden Senioren zudem Ärger. Gene verbietet seiner Mutter den Umgang mit Louis, da er Jamies Tränen nach seiner Rückkehr zu seinen Eltern, den beiden alten Leuten zuschiebt. So kleinkariert in seinem Denken und voller Vorurteile gegen Addie und Louis Verbindung macht er damit drei Menschen unglücklich. Dabei bekommt er seine eigene Ehe nicht auf die Reihe und hat für die Bedürfnisse seines Sohnes nicht viel übrig.
Kent Haruf erzählt die Geschichte sehr gefühlvoll ohne sentimental zu werden, entspannt und unaufgeregt. Ganz einfache Erlebnisse seiner beiden Protagonisten fasst er in eine liebevolle und schöne Sprache und lädt den Leser in deren Leben ein. Mühelos schafft der Autor eine schöne Atmosphäre, ohne sich mit vielen Nebensächlichkeiten aufzuhalten. Die wörtliche Rede, ohne besondere Kennzeichnung, übernimmt hier eine ganz besondere Rolle, so als würden Addie und Louis den Leser direkt ansprechen.
Es geht um das späte Glück zweier einsamer Menschen, die sich Wärme und Nähe geben und anfangen, das Leben wieder zu genießen. Leider wird diese Beziehung nicht nur von ihrer Umwelt, sondern auch von Addies Sohn mit Misstrauen und Neid beobachtet. So verschont Kent Haruf den Leser nicht mit Enttäuschung, Ablehnung und auch Traurigkeit. Ein spätes Liebesglück aus einer innigen Freundschaft gewachsen zeigt, dass das Leben immer wieder Überraschungen und die Hoffnung auf einen Neubeginn bereithält.