Lass' Dich nicht verbiegen!

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ilonar. Avatar

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Ein kleines und sehr feines Buch, über dessen Gewinn ich mich sehr gefreut hatte, kam aus dem Umschlag und nahm mich ein zweites Mal schon mit ersten Sätzen völlig gefangen. Das erste Mal war das mir bei der Leseprobe passiert.
Noch immer stelle ich mir den Anfang des Buches in meinem Umfeld vor und finde keine Person, der ich dieses „Abenteuer im Alter“ zutrauen würde.

Eines Abends nimmt Addie all ihren Mut zusammen und klingelt bei Louis, einem flüchtigen Bekannten aus der nächsten Nachbarschaft. Ihr Wunsch und ihre Frage an Louis klingen im ersten Moment so ungewöhnlich, doch schon sehr schnell beim Lesen des Buches scheint dies eine ganz natürliche Möglichkeit zu sein, Freundschaft zu schließen und die mögliche Einsamkeit des Alters zu überwinden.

Seit Addie verwitwet ist, kann sie nicht mehr gut schlafen. Nachts lassen sich die Gedanken nicht verscheuchen und die Einsamkeit beschwert sie zusätzlich. Ihr Wunsch, es möge doch nachts wieder ein Mensch neben ihr liegen und mit ihr reden, klingt eigentlich nicht ungewöhnlich. Aber dass sie diesen Wunsch ohne drumherum zu reden, einfach so ihrem ebenfalls verwitweten Nachbarn präsentiert, ist doch nicht alltäglich und so nimmt es nicht wunder, dass Louis zunächst sprachlos reagiert. Doch Addie macht ihm auch sofort deutlich, dass sie dabei keinerlei erotische Gedanken hegt, ihr geht es einzig und allein um das Gespräch und noch mehr um das Gefühl, nicht allein zu sein. Gerade und besonders in der Nacht.

Nach ein paar Tagen ist Louis bereit für einen Versuch und siehe da, beiden gefällt dies Arrangement gut. Es tut ihnen einfach gut, mit einem Menschen zu reden, dabei das eigene Leben zu reflektieren und auch sich selbst gegenüber zuzugeben, wo man entscheidende Fehler gemacht hat. Und da sich andere Menschen in der Nachbarschaft schon nach wenigen Tagen das Maul zerreißen, sind Addie und Louis der Meinung, dass er dann auch ganz normal abends durch die Vordertür kommen kann. Die ersten Abende wählte er noch den Weg über die Gärten und durch den Hintereingang. Aber das, was die beiden Protagonisten teilen, geht erstens niemanden etwas an und darf zweitens jeder wissen.

Im Verlauf der Geschichte spielen Addies Enkel Jamie und der Hund Bonny eine ganz wesentliche Rolle, beide leben eine Zeitlang in den beiden Haushalten und spornen die beiden Alten zu ungewöhnlichen Unternehmungen an. Alle Beteiligten genießen ihr „neues“ Leben und wären da nicht Tratscherei und Missgunst, könnte es gerne so bleiben. Dabei sind die Nachbarn noch nicht einmal die Schlimmsten. Noch viel dümmer und unangemessener fand ich die Reaktion der Kinder, insbesondere von Addies Sohn Gene. In ihm zeigt sich ein Wesenszug, den ich einfach nur verwerflich gegenüber der eigenen Mutter finde.

Dieses Buch möchte ich allen „Alten“ ans Herz legen und ihnen sagt, habt den Mut für Euer Leben und Eure Wünsche die Verantwortung zu übernehmen. Steht dazu. Und den jüngeren Lesern empfehle ich es, damit sie (wir) erkennen, dass wir nicht zu den Erziehungsberechtigten unserer Eltern werden, nur weil diese die 70 bereits überschritten haben.