Leise

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alasca Avatar

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Ich muss gestehen, ich hatte nie von Kent Haruf gehört, bevor ich seinen letzten, posthum veröffentlichten Roman in den Händen hielt. Mehr noch, mir gefiel der Titel nicht, weil ich ihn ein wenig kitschig fand und eine entsprechende Story erwartet habe.

Aber kitschig ist dieser Text ganz und gar nicht, weder sprachlich noch inhaltlich. Es ist die undramatische, in schlichter Sprache erzählte Geschichte zweier alter Leute, beide über 70 und verwitwet, die der Isolation des Alters entkommen wollen. „Und dann kam der Tag, an dem Abbie Moore bei Louis Waters klingelte.“ Sie macht ihm einen Vorschlag, der ebenso unschuldig wie skandalträchtig ist. „Ich bin einsam. Ich dachte, du vielleicht auch. Deshalb wollte ich fragen, ob du zu mir kommen und bei mir übernachten würdest. Und mit mir reden.“ Louis muss darüber nicht lange nachdenken.

Nichts ist besonders an Abbie und Louis: Als sie sich Stück für Stück ihre Lebensgeschichten erzählen, rollen sich zwei ganz und gar gewöhnliche Leben vor den Augen der Leserin auf. Aber getreu meinem eigenen Glaubenssatz, dass jedes Leben als Romanstoff taugt, haben auch Louis und Abbie ihre Dramen und Tragödien erlebt. Anrührend fand ich die Beschreibung ihres unauffälligen Unglücks, ihrer bescheidenen, unerfüllten Träume, der bereuten Unterlassungen. Und während die klatschsüchtige Kleinstadt voraussetzt, dass der Sex zwischen ihnen längst stattgefunden hat, wagen die Beiden ihn irgendwann tatsächlich – eine sehr (vielleicht etwas zu) zurückhaltende Szene, der es an leisem Humor nicht mangelt. Mitten in die Annäherung der Beiden platzt Abbies 6jähriger Enkel, dessen Eltern sich gerade auf Probe getrennt haben. Mit Baseballschläger, Hündin Bonny und Campingausflug kann der verstörte Junge wieder ins Gleichgewicht gebracht werden – dennoch erweist sich Abbies missgünstiger Sohn Gene als Gefahr für das bescheidene neue Glück. Gleichzeitig macht ihr Beispiel anderen Mut: „Dann gibt es ja vielleicht auch Hoffnung für andere Leute im Leben“, sagt ein alter Farmer, dem sie in der Stadt begegnen. So unspektakulär die Story angelegt ist, gelang es ihr dennoch, mich zu fesseln, denn die Frage lautet: Dürfen Abbie und Louis ihr kleines Glück behalten?

Über das Alltägliche zu schreiben, über das kleine Glück, ist eine schwierige Sache. Haruf gelingt dieses Kunststück mit scheinbarer Beiläufigkeit; ein wenig fühlte ich mich an Stewart O´Nan erinnert. Harufs Sprache ist einfach und zurückhaltend; sie will nicht besonders sein und hält sich im Hintergrund einer ebenso einfachen, aber keineswegs simplen Geschichte. Eine wichtige Rolle spielt auch das Setting: Die fiktive Kleinstadt Holt, angesiedelt im eintönig flachen Mittleren Westen der USA, eine Gegend, die bislang sowohl literarisch wie auch sonst selten hervorgetreten und somit genauso unbedeutend wie Harufs Protagonisten ist. „Unsere Seelen bei Nacht“, geschrieben unmittelbar vor dem Tod des Autors, behandelt ein wichtiges Thema in unserer Gesellschaft: Was macht das Alter lebenswert? Oder noch grundsätzlicher: Wie kann Glück gelingen? Und was ist das überhaupt? Scheinbar gehört gar nicht so viel dazu – nur die innere Freiheit, zu tun, was man wirklich möchte. De facto also eine ganze Menge. Dieser kleine, leise Roman hilft, sich dessen bewusst zu werden. Nicht gar so leise und ein bisschen weniger resigniert hätte er mir noch besser gefallen.