Späte Geschenke

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hanseidig Avatar

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Liebe wird aus Mut gemacht und Mut traut man nur der Jugend zu. Dass es auch anderes geht, zeigt der amerikanische Autor Kent Haruf in seiner leisen Geschichte "Unsere Seelen bei Nacht".
Die 70-jährige Witwe Addie geht eines Tages zu ihrem ebenfalls verwitweten gleichaltrigen Nachbarn Louis, um ihm einen Vorschlag zu machen: Addie lädt ihn ein, die Nächte bei ihr im Bett zu verbringen. Ihr geht es allerdings nicht um Sex, sondern ums Reden. Addie ist einsam und kann schlecht in den Schlaf finden. Louis überlegt nicht lange und lässt sich auf Addie ein. Den beiden gelingt es die Dunkelheit der Nacht und die Dunkelheit der Einsamkeit durch das Leuchten der Geschichten, die sie sich gegenseitig Nacht für Nacht erzählen, zu erhellen.
Addie und Louis leben in der fiktiven nordamerikanischen Kleinstadt Holt (die im Übrigen auch Schauplatz anderer Geschichten Harufs waren) und ihr Verhalten stößt bei den meisten Mitbürgern auf Unverständnis. Lebensklug und mit der Weisheit des Alters meistern sie die Anfeindungen von Nachbarn, Freunden, und sie wehren sich fast erfolgreich gegen die spießigen Ansichten ihrer eigenen erwachsenen Kinder. Das Ende der Geschichte hält einen Wermutstropfen bereit, allerdings tut das der Ruhe und Wärme, die sich beim Lesen entfaltet, keinen Abbruch.

Kent Haruf hat Unsere Seelen bei Nacht kurz vor seinem Tod geschrieben. Die Geschichte kommt ohne Glamour und Glitzer aus. In einer unprätentiösen Schreibweise gelingt es Haruf, Alltägliches und scheinbar Banales zu beschreiben und doch Empathie und großes Interesse für das Leben von Addie und Louis entstehen zu lassen. Das Ende des Buches kommt abrupt daher, aber das ist im richtigen Leben ja oftmals auch der Fall.
Mein Fazit: Lesenswert für alle, die ruhige Bücher mögen und sich beim Lesen gerne ihrer eigenen Fantasie überlassen.