Eindringlich - eine Dystopie, die keine ist

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alina_liest07 Avatar

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Nach schweren wirtschaftlichen Krisen und Unruhen, findet sich die USA der nahen Zukunft wieder in einer scheinbaren Stabilität. Diese allerdings beruht auf neuen Gesetzen und Systemen, angeblich zur Wahrung der „amerikanischen Kultur“: Bücher werden entfernt, Internetzugang und Meinungsfreiheit sind stark zensiert, die Diskriminierung von Asiaten bleibt ungestraft und die Kinder von Menschen, die als unpatriotisch gelten, werden von ihren Familien getrennt.
Seit dem seine Mutter Margaret, eine chinesisch-amerikanische Schriftstellerin, die Familie verließ als Bird neun Jahre alt war, lebt der nun 12-Jährige zusammen mit seinem Vater ein weitgehend ruhiges Leben. Doch als ein Brief seiner Mutter bei ihm eintrifft beginnt er (gefährliche) Fragen zu stellen…

„Unsre verschwundenen Herzen“ ist ein dystopischer Roman, aber er fühlt sich so nah an unserem Hier und Jetzt und enthält so viele aktuelle Bezüge, dass das Wort Dystopie ihm fasst nicht gerecht wird.
„Birds und Margarets Welt entspricht nicht unbedingt der unsrigen, aber irgendwie tut sie es doch.“
Gleichzeitig zeichnet die Autorin wunderbare Symbole der Hoffnung: der (künstlerische) Widerstand, der Zusammenhalt und die Liebe, die zwischen den Figuren herrscht und nicht zuletzt die Bücher und Bibliotheken als Orte der Zuflucht.
Der Roman ist auch eine Hymne an die Bedeutung der Bücher, Bibliotheken und Worte dieser Welt - den wie ihre Zensur immer wieder zeigt, fürchten autoritäre Regime und Tyrannen ihre Macht überall. Dieser Roman zeigt eindringlich, was ein einzelner Mensch und seine Geschichten und Wörter bewirken kann, aber auch um welchen persönlichen Preis.

Wie schon bei ihren beiden Vorgängern gelingt Celeste Ng der perfekte Spagat zwischen Spannung, komplexen Beziehungsdynamiken und stark gezeichneten Charakteren, die einem noch lange im Gedächtnis bleiben. Ngs Schreibstil ist dabei so ruhig und berührend und sie schafft es die Hilflosigkeit und Angst, ebenso wie die Hoffnung und Liebe glaubhaft einzufangen.

Ich finde man kann „Unsre verschwundenen Herzen“ durchaus als einen „klassischen“ Ng bezeichnen - ein tief bewegender, eindringlicher, hoch aktuell und zwischen Dystopie und Hoffnung schwankender Roman, der eine klare Leseempfehlung verdient!