Eine Dystopie zum Gähnen

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Seit drei Jahren leben Bird und sein Vater ohne seine Mutter Margaret. Eines Tages ist sie einfach verschwunden. Bird hat zwar die vage Vorstellung, dass es etwas mit Amerikas antiasiatischem PACT-Gesetz und Margarets Gedicht "Unsere verschwundenen Herzen" zu tun haben könnte, aber er versucht vor allem, irgendwie ohne sie klarzukommen. Bis ihn eines Tages ein Brief erreicht, der ihn auf eine Reise schickt, seine Mutter zu finden.

Celeste Ngs Romane handeln von komplexen Familienkonstellationen, in denen sich nach und nach die Geheimnisse der einzelnen Mitglieder lüften, die schwierigen Beziehungen sichtbar werden, Schockierendes zutage tritt. So etwas in der Art habe ich auch in ihrem dritten Roman erwartet. Leider wurde ich enttäuscht. Man merkt dem Roman an, dass er zunächst anders konzipiert war, und die Autorin nachträglich das dystopische Element eingefügt hat: Ein von Rassenhass zerfressenes Amerika, das durch antiasiatische Gesetze quasi dazu auffordert, Menschen zu töten und Kinder von "ungeeigneten" Eltern zu trennen. Alles ist auf eine ominöse "Krise" zurückzuführen, die im Laufe des Buches mehr schlecht als recht und beinahe etwas gelangweilt erklärt wird. Brutalität ist Alltag, kaum jemand muckt auf, da immer gleich die Polizei zur Stelle ist. Selbst gewaltfreier Protest kann tödlich enden. Das ist alles ziemlich realistisch, und gleichzeitig irgendwie uninspiriert. Noch dazu reiht Ng oft genug verblosen Satz an verblosen Satz, was vielleicht Tempo erzeugen soll, sich aber eher liest wie ein stakkatohaftes Abbeten.

Auch die Erzählung rund um Bird hinkt. Immer wieder wird in der Erzählung revidiert, was zunächst über ihn ausgesagt wurde. Dann weiß er plötzlich doch über Margarets Gedichte Bescheid, oder erinnert sich plötzlich doch an die gesamte Geschichte mit den Katzen. Zu viele unlogische Sprünge im Wissen des 12-jährigen Jungen, zu viel der Naivität.

Später erfolgt ein Perspektivwechsel, in dem der Verlauf der Krise und Margarets Flucht aus ihrer Perspektive erzählt wird. Ich war abgestoßen von Ngs Darstellung von Margaret, die nach einer rebellischen Phase voll in ihrem glücklichen Mutter- und Hausfrauenleben aufgeht, sich von der Schwiegermama erklären lässt, wie man Aufläufe macht, dem "Mann den Rücken freihält", und dabei komplett das Weltgeschehen ausblendet - bis sie selbst zufällig hineinverwickelt wird. Sie kann sich ausgiebig bei Fremden entschuldigen (wofür?!) und ihre Geschichten anhören, aber ihrem Sohn kann sie nicht einmal richtig Tschüss sagen, oder versuchen ihm irgendwas zu erklären?

Einzig das Ende stimmt mich versöhnlich. Es gibt kein Friede, Freude, Eierkuchen. Es ist nur ein kleiner Anfang gemacht, und die Protagonist*innen stehen vor der Entscheidung, ob sie weitermachen wollen wie bisher oder ob sie aufstehen werden gegen Unterdrückung und Hass. Das waren die einzig wirklich starken Szenen im Buch.

Insgesamt hat Ng sich in diesem Roman ein wenig verloren. Spannung gab es kaum, der Stil war holprig und bemüht, die Dystopie wollte ihr nicht recht gelingen. Gerade im Vergleich zu den Vorgängern eine ziemliche Enttäuschung.