Nachhall einer Novembernacht

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ahabsdaughter Avatar

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In einer Novembernacht 1994 brennt ein Haus nieder und eine junge Frau stirbt. Polizist Vidar findet in der Nähe den bewusstlosen Freund der Toten, der später für das Verbrechen verurteilt wird, obwohl er immer seine Unschuld beteuert.
Die Schwester des vermeintlichen Mörders Edvard Christensson bricht den Kontakt ab. Darunter leidet der kleine Neffe Isak, der nicht verstehen kann, warum sein Onkel die Tat begangen haben könnte und auch nicht, warum ihn alle auf einmal so merkwürdig behandeln. Als hätte die Tat seines Onkels Edvard auch ihn befleckt.
Die Geschehnisse der Novembernacht werden sowohl Vidar als auch Isak für die nächsten 23 Jahre nicht loslassen.

Dass es bei einem Verbrechen nicht nur Täter und Opfer gibt, die verurteilt oder traumatisiert werden, sondern auch Familien und Freunde, darum geht es in Christoffer Carlssons Kriminalroman „Unter dem Sturm“.
Der Autor bedient sich dabei eher einer leisen Erzählung, die dennoch eine düstere, melancholische Stimmung erzeugt. Gewaltbeschreibungen und Spannung findet man hier weniger, es ist eher eine psychologische Studie. Dieser Ansatz des Autors gefiel mir sehr gut. Carlsson geht sogar soweit, dass Edvard Christensson zwar fast ständig in den Gedanken der Protagonisten präsent ist, selbst als handelnde Person aber so gut wie gar nicht auftritt.

Mit psychologischer Finesse werden die Auswirkungen des Vorfalls auf Isak und Vidar geschildert:

Isak wird durch die Ereignisse von einer großen Wut auf andere, seinen Onkel und sich selbst erfüllt. Der Widerspruch zwischen dem Verbrechen und seinem Onkel, der für ihn ein Vorbild war lässt ihn jahrelang verzweifeln und an einen Makel in sich selbst glauben. Während Isak voll Wut auf sich und den vererbten Hang zu Gewalt und Mord in sich ist, schlittert er in eine sich selbst erfüllende Prophezeiung hinein.

Dass die Familie des vermeintlichen Täters im ländlichen Schweden Verleumdungen und Gerüchten ausgesetzt ist, war für mich einerseits sehr krass und unglaublich, andererseits beschreibt der Autor die Mentalität der Menschen, geprägt durch die Landwirtschaft bis heute, sehr gut, wodurch ihre Denkweise glaubhaft wird. Die Familie von Edvard und Isak fiel schon durch einen gewaltbereiten Großvater auf, warum sollte sich dies nach Meinung der Leute nicht vererben?Zumal Edvard kein Ausbund an Friedfertigkeit war.

Vidar ist mit dem Ermittlungserfolg und sich selbst als Polizist zufrieden, bis er 9 Jahre später berechtigte Zweifel an der Täterschaft Edvard Christenssons bekommt. Seine Kollegen und Vorgesetzten schmettern Vidars Zweifel selbstgerecht ab. Christensson war schließlich der Polizei bereits bekannt. Vidar macht sich eigenständig auf die Suche nach Beweisen für Christenssons Unschuld, wodurch seine berufliche Laufbahn und damit seine Lebensorientierung nachhaltig verändert werden.

Wie ein Verbrechen das Leben zweier Menschen, die vermeintlich nicht direkt betroffen waren, verändern und prägen kann, hat der Autor meiner Meinung nach sehr gut dargestellt. Christoffer Carlsson schildert das soziale Netz der Protagonisten, die Landschaft des Dorfes und die Veränderungen über die Zeit hinweg sehr detailliert. Manchmal erschien mir die Handlung dadurch aber auch langatmig.
Selbst die Auswirkungen eines verheerenden Sturm namens Gudrun, welcher im Jahr 2005 über Schweden fegte, werden in die Handlung eingebunden.

Bis der wahre Täter offenbart wird, vergehen 23 Jahre. Am Ende erhält der Leser nur noch einen kurzen, vage bleibenden Blick auf Isak und Vidar. Nach 23 Jahren hätte ich mir dann doch etwas mehr Beschreibung gewünscht, wie es den beiden mit dem Wissen um die Wahrheit geht.

Im Großen und Ganzen hat mir „Unter dem Sturm“ gut gefallen. Wer auf der Suche nach Nervenkitzel ist, sollte sich lieber einen anderen Roman vornehmen. Wer auf gute Charakterdarstellungen Wert legt und Freude an atmosphärischen Erzählungen hat, findet bestimmt Gefallen an Christoffer Carlssons Roman.