Schwierig

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paulafschr Avatar

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Ich weiß nicht so genau, wie ich Unter Grund von Annegret Liepold bewerten soll. Es geht um Franka, die sich ihrer rechtsradikalen Vergangenheit stellt und ist in zwei Zeitsträngen erzählt. Einmal die Gegenwart, 2013, zur Zeit der NSU-Prozesse, die Franka besucht und dann überstürzt in ihr Heimatdorf nahe Nürnberg fährt. Und 2006, als sich Franka als Teenagerin einer rechtsradikalen Gruppe anschließt.

Ich hatte große Probleme mit der Art und Weise, wie die Frankas Radikalisierung dargestellt wird. Generell hat mich die Figur einfach unglaublich genervt. Ich glaube, ich habe noch nie von jemandem gelesen, den ich als so erbärmlich und rückgratlos wahrgenommen habe. Franka wird porträtiert als eine unsichere, verlorene Teenagerin. Sie hat nur einen Freund, von dem sie sich nicht verstanden fühlt, ihre Mutter interessiert sich scheinbar nicht für sie, ihr Vater ist tot. In der Schule ist sie schlecht, sie hat konstant Angst zu versagen und fühlt sich dumm. Dann trifft sie auf Patrick, der sie mit zu seinen Nazi-Freunden nimmt, und in denen sie eine Gruppe findet, in der sie sich aufgefangen fühlt.

Durch Frankas Charakterisierung als unsicher und unentschlossen wird das ganze Buch über suggeriert, dass sie einfach so in die Rechtsradikalität reingerutscht sei, dass ihr etwas entgleist wäre. Sie plant zum Beispiel die Aktionen nicht mit, ist dann aber trotzdem dabei, oder sie steht daneben, wenn ihre Freund:innen Menschen verprügeln, schlägt aber selbst nicht zu. Sie wird konstant als eine Mitläuferin gezeichnet, die nicht so genau weiß, was ihr gerade passiert.

Die Autorin versucht das aufzubrechen, indem sie gegen Ende des Buches zwischen Beate Zschäpes Prozess und Frankas Prozess hin und her springt, aber das ist ihr in meinen Augen gar nicht gelungen. Die Szene soll wohl symbolisieren, dass Franka endlich versteht, wie schlimm ihre Taten und Gesinnung als Teenagerin waren und dass sie Verantwortung dafür übernehmen will. Allerdings finde ich, dass das Gegenteil passiert: dadurch, dass Franka die ganze Zeit als armes kleines einsames Dummerchen beschrieben wird, die durch einen Haufen dummer Zufälle versehentlich in die Rechtsradikalität abgerutscht sei, wirkt es so, als wolle die Autorin Franka und Beate Zschäpe vergleichen und damit Empathie für letztere erwecken. Ich glaube nicht, dass dem wirklich so ist, aber es war sehr irritierend beim Lesen.

Besser fand ich den Schreibstil. Die Autorin findet schöne sprachliche Bilder für Alltägliches (Platzwunden an Tassen hat mir sehr gut gefallen). Generell war auch die Geschichte nicht uninteressant. Es hat einen Moment gedauert, bis ich drin war, aber dann wollte ich schon wissen, wie es weitergeht. Ich schwanke zwischen zwei und drei Sternen, aber entscheide mich letztendlich doch für zwei, weil es einfach sehr viel gab, was mich gestört hat. Der Text macht auf unzählige Gründe und Umstände aufmerksam, die dazu führen, dass Franka rechtsradikal wird. Dazwischen geht unter, dass sie wirklich an jeder Stelle des Buches eine andere Entscheidung hätte treffen können. Ich glaube schon, dass Frankas Geschichte auch ein Stück weit als Mahnung dienen sollte, aber ich habe sie vor allem als Rechtfertigung wahrgenommen, und das hat mir nicht gefallen.