Vergangenheit und Schuld

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In "Unter Grund" von Annegret Liepold begleiten wir Franka durch ihre Vergangenheit, ihre Jugend, lernen ihre familiären Verhältnisse kennen und mit welchen inneren Konflikten sie zu kämpfen hat. Und wie sie schlussendlich immer weiter in die rechte Szene hineingerät.

Dabei springt die Erzählung in der Zeit, was mir den Zugang zur Geschichte anfangs etwas schwer gemacht hat, und doch untermauert der Aufbau die inhaltliche Ebene der Radikalisierung Frankas so gut. Die Geschichte beginnt ganz ruhig und wir werden langsam in Frankas Leben eingeführt. Während wir als Lesende bereits mitbekommen, dass etwas unter der Oberfläche brodelt, beschreibt Liepold mit feinem Auge zunächst eher Beobachtungen im Außen. Erst nach und nach dringen wir weiter in Frankas Innenwelt vor und müssen dann auch schon miterleben, wie sich Franka immer stärker radikalisiert. Was sie selbst scheinbar nüchtern und unbeteiligt wahrzunehmen scheint. Außerdem erleben wir auch durch die Zeitsprünge Frankas gegenwärtige Scham gegenüber ihrer Vergangenheit und ihre Suche nach Schuld.

Liepolds Schreibstil hat mir mit seiner Bildhaftigkeit und zum Teil poetischen Sprache als Gegenpol zu den durchaus harten und empörenden Inhalten gut gefallen. Manche Beschreibungen waren mir allerdings zu ausführlich und einzelne Passagen deshalb leider etwas langatmig.

Eine meiner Hoffnungen an das Buch, nämlich die Frage, wie wir Menschen vom rechten Rand zurückgewinnen können, ist dabei erwartungsgemäß nur bedingt beantwortet worden. Es gibt immer Fälle, wie der Frankas, in denen dies möglich ist, aber ebenso ist das Gegenteil (auch erfahrungsgemäß) möglicherweise wahrscheinlicher. Trotzdem ermöglicht mir die Geschichte am Ende einen - zumindest kleinen - hoffnungsvollen Blick, dass Engagement Wirkung zeigen kann.

Vielleicht waren meine Erwartungen an Liepold aufgrund ihres Studiums der Politikwissenschaften etwas zu hoch, sodass ich mir eine Auseinandersetzung auf einer weiteren Ebene gewünscht hätte. So habe ich persönlich leider nicht allzu viel Neues mitnehmen können. Nichtsdestotrotz finde ich "Unter Grund" auch genau so, wie es ist, sehr gelungen und empfehlenswert. Ich gebe 4,5 Sterne.