Auch in einer vermeintlich heilen Welt gibt es dunkle Schatten

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gela_hk Avatar

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Zwei befreundete Paare, die sich so gut verstehen, dass sie gemeinsam ein Grundstück teilen und Haus an Haus wohnen. Thies, Sophie, Inga und Bodo haben sich diesen Traum im Wendland an der Elbe erfüllt, doch ihre Freundschaft wird auf eine harte Probe gestellt. Aaron, der elfjährige Sohn von Thies und Sophie, kommt in der Elbe ums Leben und mit seinem Tod legt sich ein Schatten über das perfekte Miteinander der Paare. Ein Jahr nach dem Unglück erscheint eine geheimnisvolle Frau im Ort, die allzu aufmerksam und interessiert auf alle zugeht. Durch sie werden Gefühle geweckt und Geheimnisse gelüftet, die schon zu lange verborgen blieben.

Kristina Hauff hat einen sehr klaren, beobachtenden Schreibstil. Besonders die Landschaft an der Elbe wird aus einem besonderen Blickwinkel betrachtet. Statt natürliche Bilder zu zeichnen, werden eher emotional bedrückende Szenen heraufbeschworen. Jedes Kapitel wechselt mit Sicht auf einen bestimmten Protagonisten. So erfährt man Kapitel um Kapitel mehr über die einzelnen Personen und deren Sichtweise auf das Geschehene. Mir fehlte dabei aber die Nähe zu den handelnden Personen. Es werden wenig Emotionen transportiert, die Charaktere bleiben sehr kühl, vielleicht auch oberflächlich. Das mag gewollt sein, um die Situation vom Leser interpretieren zu lassen.

Das Schlimmste, was Eltern passieren kann, ist, ein Kind zu verlieren. Im Fall von Thies und Sophie gibt es dann noch die Ungewissheit, warum ihr Sohn sterben musste.

"Warum geht ein Elfjähriger mit T-Shirt, Hose und Schuhen in die Elbe?"

Die Polizei ist gerade dabei, die Ermittlungen einzustellen und so schwindet knapp ein Jahr nach dem Schicksalsschlag für die Eltern jede Hoffnung, eine Erklärung zu erhalten. Diese Zerrissenheit ist deutlich zu spüren. Jeder versucht mit sich allein das Unaussprechliche zu verarbeiten. Jedwede Nähe zueinander scheinen sie verloren zu haben. Auch ihre Freunde meiden sie, weil sie die perfekte Familie im Nebenhaus nicht mehr ertragen können.

Als eine Fremde durch einen Zufall in das Leben der Freunde tritt, nehmen sie diese als unverhoffte Bereicherung in ihrer Mitte auf.

"Mara war voller Widersprüche. Sie gab die um sein Seelenwohl besorgte Freundin. Die sinnliche Mara, die ihn lockte. Die besonnene Frau, die ihn abwies. Mara, die ihre Geheimnisse hatte".

Die Figur der Mara wirkte auf mich zu sehr am Reißbrett konstruiert. Eine Frau, die gleich von mehreren Personen als ihr persönliches Highlight im Alltag willkommen geheißen wird. Niemand kennt diese Frau und von heute auf morgen geht sie bei den Paaren ein und aus. Es entsteht sogar eine Art Wettstreit darum, wer am meisten Zeit mit ihr verbringen kann.

Mara ist es dann auch, die Bodo und Inga darauf aufmerksam macht, dass deren Tochter Jella etwas bedrückt. Es ist zwar nicht außergewöhnlich, dass Außenstehende häufig etwas sehen, was direkt Betroffenen nicht offensichtlich ist. Aber gerade hier, wo eine perfekt funktionierende Familie beschrieben wird, soll niemand gemerkt haben, dass Jella etwas verbirgt und nicht verarbeiten kann? Es ist mir schwergefallen, der Wendung etwas Glaubhaftes abzugewinnen.

Mir sind in diesem Roman zu viele Themen miteinander verwoben worden. Der Verlust eines Kindes hätte für mich allein als Thema ausgereicht und müsste nicht durch eine wild konstruierte dramatische Geschichte ummantelt werden. Es geht um Verlust, Verdrängen und Wegschauen. Freundschaften und Beziehungen müssen zeigen, wie belastbar sie in schwierigen Situationen sind.

Ich habe mich bei der Bewertung für ein knappes Aufrunden entschieden, weil mir am Ende die stillen Momente im Roman gefallen haben.