Undurchdringliche Elbauen

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Sophie und Thies Buchholz müssen den Verlust ihres Sohnes Aaron verarbeiten. Vor einem Jahr ertrank der Junge in der Elbe. Nach außen hin geben alle vor, von einem tragischen Unfall auszugehen, aber im Inneren tragen sie sich mit Schuldzuweisungen. Alle umfasst die heile Welt eines Hofes, auf dem zwei befreundete Familien gelebt haben. Sophie und Thies auf der einen Seite, Inga und Bodo mit ihren beiden Kindern auf der anderen. Zwischen ihnen herrscht nun Schweigen. Dabei war Aaron kein Kind, das man als Sonnenschein bezeichnet hätte. Sein Tod löst die einstmals engen Bindungen auf. Sophie erträgt den Anblick der glücklichen Nachbarsfamilie nicht mehr und Inga raubt es die letzte Kraft, den Anschein von Normalität vorzutäuschen.

Kristina Hauff, die unter anderem Namen spannende Kriminalromane schreibt, wechselt mit diesem Roman in ein anderes Genre. Sie zeigt in ihrem Entwicklungsroman, wie unausgesprochene Wörter ebenso verletzen können, wie unmissverständliche Schuldzuweisungen. Der Auslöser der Situation passierte bereits vor vierzehn Monaten. Trauer, Hilflosigkeit und vor allem Schweigen haben die Verhältnisse außer Kontrolle gebracht. Von der einstmaligen Idylle ist nichts mehr zu spüren. Die Einstiegsszene wirft allerdings auch so viele Fragen auf, dass man sich in jedem Fall auf das emotional aufwühlende Buch einlassen muss. Der Spannungsbogen ist also angelegt und wird sauber über den Verlauf der Handlung gezogen.

Das Wendland ist den Atomkraftgegnern von den Demonstrationen gegen den Castor aus dem 70-er Jahren bekannt. Es fehlt jegliche Industrie und die Elbe fließt kräftig, aber eben auch gefährlich, durch die Auen. Es ist ein idealer Platz, um zurück zur Natur zu finden und nachhaltige Lösungen zu finden. So entstand auch die derzeitige Wohnsituation der befreundeten Paare. Inga scheint für alles eine Lösung zu haben. Sie bringt Beruf und Familie unter einen Hut und hat außerdem noch Zeit, ihrer Freundin Sophie eine Stütze zu sein. In ihrer Gegenwart würde sich vermutlich nicht nur Sophie unzulänglich fühlen. Aaron ist nämlich alles andere als umgänglich. Sophie belastet nicht nur das Gefühl, in der Erziehung zu versagen, sondern auch der Wunsch, ihre Familie wieder abstreifen zu können. Auch die Männer verschweigen ihre Gefühle, sodass die Idylle bei näherer Betrachtung bröckelt. Das plötzliche Auftauchen von Mara bringt zudem alle Figuren aus ihrer Komfortzone. Die Notwendigkeit eines Gesprächs ist unübersehbar.

Die Frage nach den wahren Umständen des Ertrinkens wird von jeder Figur anders interpretiert. Die Eltern haben kein Alibi und machen sich und dem anderen Vorwürfe. Von den Nebenfiguren erfährt der Leser von der offenen Aggressivität Aarons gegenüber anderen, die offenbar an einem Abend an der Elbe eskalierte. Die Elbe fließt augenscheinlich ruhig, lässt seine Beobachter nicht auf den Grund schauen und verdeckt so die lebensgefährlichen Strudel. Ähnlich macht es auch die Handlung in diesem Roman. Der Hof vermittelt eine Unbeschwertheit im Leben seiner Bewohner, die innerhalb des Hauses vor Blicken geschützt zu einer untragbaren Belastung mutiert. Lähmende Gleichgültigkeit wechselt sich mit Verdächtigungen und Schuldzuweisungen ab. Der unterdrückte Groll wird nicht ausgesprochen, ist dennoch fühlbar. Die Perspektiven wechseln im Handlungsverlauf, sodass ein umfassendes Bild entsteht. Außerdem wird damit verhindert, dass die Figuren stereotyp empfunden werden. Je nach Ansicht zeigen sie weitere Facetten ihres Charakters.

Unter Wasser Nacht ist ein düsterer Roman um den Verlust eines Kindes. Er schildert, wie ein einschneidendes Ereignis nicht nur Eltern, sondern auch dessen Umfeld belastet. Es geht um Schuld, Verzeihen und Akzeptanz. Der Schauplatz an der Elbe wird zur bildlichen Darstellung der Lebenssituation. Es geht immer weiter, aber manche Sachen werden wieder an die Oberfläche gespült und man muss sich darum kümmern. Die Emotionen sind spürbar und nachvollziehbar. Der Inhalt berührt mit leisen Worten und ruhiger Handlung. Unwillkürlich setzt man sich mit den Themen des Buches auseinander. Von daher bekommt es eine definitive Leseempfehlung.