Intensität...

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mike nelson Avatar

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Zugegebenermaßen war ich als männlicher Leser zunächst skeptisch und dachte anfangs 'Mal wieder so eine weibliche Selbsterkundungsgeschichte' und musste direkt an 'Häutungen' von Verena Stefan aus dem Jahre 1975 denken... Ich muss aber gestehen, dass das Buch mich zunehmend wie ein Sog erfasst und mit seiner sprachlichen Intensität und Direktheit auch überzeugt hat. Manchmal legt das Leben ja einen Zwischenstopp ein - man verlässt eine irgendwie verfahrene Situation, begibt sich auf eine Reise, denkt nach und ist gleichzeitig in einer Phase des Übergangs gefangen, in der das Alte noch nicht vorbei ist und das Neue noch nicht begonnen hat; und mit der Rückkehr von der Selbstklärungsreise startet dann ein zarter Neubeginn. So in etwa könnte man beschreiben, was der Protagonistin aus 'Unterwasserflimmern' widerfährt: Das Konstrukt parallel zum eigenen Partner Emil, der sich langsam mit Hausbau und Kinderplanung auf einen verbindlichen Lebensweg festlegen möchte, den um einiges lebensälteren - wenn auch selbst verheirateten - Geliebten Leo zu haben zerbricht, als ihr Partner Emil ihr eine Affäre gesteht. Die Protagonistin bricht alle Brücken ab, reist ins südlich gelegene Nachbarland ans Meer, trifft dort auf andere Lebensmodelle und Menschen, denen sie neu begegnen kann; was zunächst wie eine Flucht vor einer Entscheidung anmutet, erfordert schließlich aber eine Entscheidung, da sie befürchtet schwanger zu sein, allerdings ohne zu wissen, wer denn nun der Vater ist. Wer auf der Suche nach sich selbst noch nicht ans Ziel gelangt ist (falls das überhauptmöglich ist...), mag sich nicht zwischen unterschiedlichen Daseinsmöglichkeiten entscheiden müssen, hält sich gerne alles offen... und die vermutete Schwangerschaft bahnt eine Entscheidung! Deshalb auch gegen Ende der Geschichte das Bild der Morgendämmerung - als Zeichen für einen Neubeginn! Und zum Titel des Buches: Die Sehnsucht, sich in den Weiten des Meeres aufzulösen, sich treiben und durchfluten zu lassen - gleichzeitig aber 'an Land' die Anforderung , die das Leben stellt auch anpacken zu müssen. Mit der Italienreise und dem Resultat, doch nicht schwanger zu sein, gelingt es der Protagonistin am Ende, ihr altes Leben für einen Neustart ins noch Ungewisse zu integrieren - anstatt es - im wahrsten Sinne des Wortes - abtreiben zu müssen.
Selbsterkundung? Ja! Aber mit welch großartiger Intensität und sprachlicher Wucht!!!