Tiefschürfend

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lesewelten Avatar

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Was ich dringend zuerst loswerden muss: Wie schön ist dieses Cover bitte?! Cover &Titel passen auch perfekt zum Inhalt des Buches - Schwebezustand, sanfte Gefühlsregungen, Stille, sich treiben lassen.

"Es dämmert. Die Luft ist rein wie in keiner anderen Stunde des Tages. Noch nichts ist passiert. Die Welt erwacht erst, wie in Watte gepackt, alle Geräusche dringen nur gedämpft zu uns durch. Nur leises Rascheln, nur sanfte Laute. Alles ist vorsichtig, denke ich. Sogar die Reifen klingen leiser als sonst."

Zum Inhalt möchte ich gar nicht allzu viel sagen. Die namenlose Protagonistin ist um die 30 Jahre alt, hat einen zehn Jahre älteren Freund &eine Affäre. Irgendwann wird alles zu viel &sie begibt sich auf eine unbestimmte Reise &damit auch auf eine Reise zu sich selbst, in ihr Innerstes.

Katharina Schaller schreibt klar, präzise &unverblümt. Kurze Sätze geben der Geschichte Tempo &drücken die Beobachtungen der Protagonistin deutlich aus. Ich kenne bisher kein vergleichbares Buch mit ähnlichem Schreibstil. Von Anfang an war ich gleich in der Geschichte &musste das Buch auch fast am Stück lesen - wie ein angenehmer Sog, der nicht mehr loslassen will.
Es geht viel um das Fühlen, das Empfinden. Teilweise wird es derb, rotzig - komplett unromantisiert. Der Protagonistin ist Intimität &Sex wichtig, was häufig &ungeschönt dargestellt wird - das sollte einen also nicht stören. Dieser offene Blick zeigt ein besonderes Körperfeeling, eine spezielle Verbundenheit zu sich &anderen Menschen, Nähe aber auch Abstand. Das Wahrnehmen durch die Augen der Protagonistin war ungewohnt, neu, aber sehr interessant.

Aber Katharina Schaller spricht nicht nur das Spüren an, sondern auch den Zustand des Schwebens, in dem sich die Protagonistin befindet. 30 &zufrieden im Berufsleben, gibt es bei ihr noch weit &breit keine Gedanken, die sich mit Kindern oder Hausbau beschäftigen. Ihr Freund sieht das ein wenig anders. Reibung, Kollision unterschiedlicher Lebensmodelle & -wünsche.

"Ich mag es, nicht glücklich sein zu müssen. Ich bin hier, und niemand erwartet von mir, einen Plan für dieses Leben zu haben."

Sie hinterfragt hier die konventionellen Strukturen, die uns täglich begegnen. Muss man in diese gesellschaftlich etablierten Muster passen? Die Protagonistin fühlt sich durch den Grundstückskauf &eine mögliche Schwangerschaft eingeengt. Ihre Gedanken spiegeln diese Unsicherheit &Unentschlossenheit wieder. Während eine Bekannte von ihr nun schwanger ist, kann sie sich alles drumherum nicht recht für sich selbst vorstellen.
Mit der Reise ohne Ziel &den Begegnungen, die sie dort gemacht hat, kehrt sie schließlich zurück. Das Ende bleibt einerseits offen, andererseits auch nicht. Wird ihr nun etwas abgenommen, kann sie sich für die Dinge entscheiden, die ihr wichtig sind? Oder versucht sie sich doch in die drückenden gesellschaftlich vorgegebenen Formen zu pressen?
Das Buch hat mich sehr zum Überlegen gebracht - ich habe mir viele Stellen markiert &Notizen gemacht. So viele Zitate, die ich hier gar nicht alle einbringen könnte - deshalb nochmal eine ganz klare Leseempfehlung!☺️
Ich bin mit bestimmten Vorstellungen an das Buch herangegangen, ich dachte, dass es ausschließlich um körperliche Verbindungen &Empfindungen geht, die hier aus einer neuen Sichtweise beschrieben werden. Aber ich war positiv überrascht, dass sich hier noch eine weitere, durchaus kritische Ebene eröffnet hat! "Unterwasserflimmern" kann ich auf jeden Fall schon als ein Highlight meines Lesejahres 2021 bezeichnen!✨