Der Aufwärtstrend setzt sich, wenn auch abgeschwächt, fort ...

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cellissima Avatar

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Wem ist das nicht schon einmal passiert? -Es kommt der Tag, der einen ganz bestimmten Auslöser bereithält, der uns regelrecht aus der Bahn werfen kann, uns alles in Frage stellen und unser ganzes Leben überdenken lässt.
Das kann ein Gespräch mit einer anderen Person sein, das etwas in einem selbst auslöst, Zeilen, die man liest, eine Situation, die man als Außenstehender beobachtet ...
Man lässt sein bisheriges Leben Revue passieren, fragt sich, was man bisher erreicht hat, und ob das mit dem, was man immer erreichen wollte, was man unter dem Begriff "Glück" verstand, identisch ist.
Fehlt nicht doch etwas, sollte nicht doch noch etwas kommen? Kann das wirklich alles gewesen sein??

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So geht es auch der 31-jährigen Schweizerin Linda in Coelho´s neuem Roman "Untreue".
Linda müsste eigentlich glücklich sein, hat sie doch all das, wovon die meisten Menschen nur träumen können: ein schönes Haus inmitten unberührter Natur, einen wundervollen Mann, keinerlei Geldsorgen -ihr Mann gehört zu den 300 reichsten Schweizer Managern-, 2 tolle Kinder, arbeitet als Journalistin bei einer angesehenen Tageszeitung ...

Doch eines Tages fragt Linda sich, ob das alles sein kann.
Auslöser war das Interview mit einem Schriftsteller, der ihr erzählte, dass es ihm gar nicht darum ginge, glücklich zu sein. Dass er lieber so leidenschaftlich wie möglich lebt, das Leben also voll auskostet, ganz egal, ob bzw. wie gefährlich dies sein mag, weil man nunmal nie wisse, wohin das führte.

Da muss Linda erkennen, dass die Leidenschaft längst erloschen ist, dass ihr Leben von Routine und Monotonie bestimmt wird. Ein Tag gleicht dem anderen, es ist der ewig gleiche Trott ...

Ausgehend von dieser Erkenntnis beginnt Linda, ihr Leben zu analysieren, zu hinterfragen.
Was wäre, wenn ... ?

Sie hat Angst davor, dass sich etwas ändert, aber auch Angst davor, dass alles ewig gleich bleibt.
Sie beginnt, ihr Leben zu erkunden, die Gefahr zu suchen, Grenzen zu überschreiten - um herauszufinden, wer sie wirklich ist und was sie wirklich will.
Doch damit bringt sie natürlich auch ihre bisher heile Welt in Gefahr.
Wie wird Linda sich am Ende entscheiden - Familienidyll oder Abenteuer?

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Nachdem Coelho´s Werke der letzten Jahre für mich leider sehr enttäuschend waren nach so großartigen Büchern wie "Der Alchimist" zu Beginn und ich schon ernsthaft überlegt hatte, mich von Coelho als Autor endgültig abzuwenden, war ich sehr erfreut darüber, dass sich letztes Jahr mit "Die Schriften von Accra" wieder ein Aufwärtstrend andeutete.

Dieser setzt sich mit "Untreue" auch fort, wobei dieser Roman leider auch Schwächen aufweist.

Grundsätzlich ist diese Geschichte war gut geschrieben und können sich mit Linda sicher viele Leser identifizieren.
Ihre Gedanken werden auf sehr eindringliche und oft auch ebenso authentische Art und Weise wiedergegeben.
Linda´s Schicksal zeigt bspw. deutlich, dass materielle Dinge nicht alles sind im Leben, dass man auch ohne Geldsorgen unglücklich und regelrecht krank werden kann, wenn die wirklich wichtigen Dinge fehlen.

Grundsätzlich also ein fesselnder Stoff, grundsätzlich auch sehr gut umgesetzt.
Leider wird es bei den Schilderungen von Linda´s "dunkler Seite" aber öfter too much: die Sexszenen zwischen ihr und ihrem Jugendfreund werden leider immer wieder für meinen Geschmack allzu detailliert und regelrecht schmutzig geschildert. In der Umgangssprache würde man das wohl als "gewöhnlich" bezeichnen.
Das ist einfach nicht stimmig, es passt nicht zum Rest, und es zerstört leider auch den Zauber, die Wirkung, den Gesamteindruck dieses ansonsten guten Romans.
Und leider, leider geht dabei auch viel Authentizität verloren und lassen diese Stellen die betreffenden Szenen und Handlungen auch irgendwie unglaubwürdig und unrealistisch wirken ...

Auch die Figuren an sich wurden nicht immer ganz stimmig und widerspruchsfrei gezeichnet.

Immerhin kommt die wesentliche Botschaft denn am Ende beim Leser an: die Liebe ist das Wichtigste im Leben! Nur wer liebt, lebt wirklich ...

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Fazit: Ein typischer Coelho, der nach einigen Enttäuschungen den Aufwärtstrend nach "Die Schriften von Accra" weiter fortsetzt, mit dem man sich identifizieren kann und der wieder einige Denkanstöße bietet.
Leider weist er aber auch Schwächen auf.