Eine bewegende Migrationsgeschichte

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„Erzählen ist wie Wasser, Metin. einmal unterwegs, findet es seinen Weg von selbst.“
Necati Öziri stand mit seinem Buch auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis, den er nicht gewonnen hat, aber er hat die Nominierung zu Recht verdient.
Arda, der Ich-Erzähler liegt schwer krank im Krankenhaus und tritt in einen Monolog mit dem Vater, der die Familie verlassen hat, in die Türkei zurückgekehrt ist und dort verhaftet wurde.
Die Familie zerbricht. Die Mutter ist überfordert, die beiden Geschwister auf sich allein gestellt, müssen um ihren Aufenthaltsstatus in Deutschland kämpfen, werden in der Schule ausgegrenzt. Die Mutter trinkt zu viel, ist nachts unterwegs und bringt fremde Männer mit. Die Geschwister werden getrennt. Aylin wächst bei der Großmutter in der Türkei auf, kehrt nach Deutschland zurück und kümmert sich um ihren Bruder., Arda verbringt viel Zeit mit den Freunden auf der Straße, Drogen und Angst vor Polizei bestimmen seinen Alltag.
Der Sohn Arda wird bald sterben will und will in dem Vater die Erinnerung an seinen ersten Sohn wecken.
„Dein Sohn hatte dicke, schwarze Locken, genau wie seine Schwester. Er hatte eine hohe, klare Stirn, kräftige Augenbrauen, ein bisschen wie der Nike-Swoosh, und darunter die Augen seiner Mutter, nur noch dunkler, fast schon schwarz, tief im Gesicht liegend. Unter dem linken Auge hatte er, wie du, einen schwarzen Fleck. Sein Vatermal. Und er hatte deinen schmalen Mund, deine dünnen Lippen.“
Die Mutter Ümran erzählt ihm am Krankenbett die Geschichte ihrer Kindheit, des Verlusts ihrer Lebensgrundlagen durch ein Erdbeben, der Liebe zu einem anderen Mann.
Ümras Eltern gehen nach Deutschland, die Kinder bleiben bei einer Tante in der Türkei. Die Beziehung mit dem Ehemann ist geprägt von seiner Gewalt und seiner Spielsucht.
Die Schwester erzählt von der Zeit mit dem Vater, als er noch bei ihnen war.
Aylin verschwindet nach einem Streit mit der Mutter und Arda findet seine neue Familie auf der Straße bei seinen Freunden.
Durch diese Erzählungen entdeckt Arda die Wurzel seiner Kindheit, einen Teil seiner Identität.
„Heute Morgen stand ich vor dem Badezimmerspiegel, legte meinen Finger auf diesen Fleck und fragte mich, wie mein Gesicht ohne ihn aussehen würde. Als ich den Finger wegnahm, war der Fleck nicht mehr da. Er klebte an meiner Fingerkuppe. Ich holte tief Luft, schloss die Augen und pustete ihn weg.“
Der Wechsel der Erzählperspektive zwischen Ich-Erzähler und personaler Erzählperspektive bei Mutter und Schwester sorgt für die große Intensität dieses Buches. Es weckt Verständnis für die Handlungen und Gefühle der Mutter und der Schwester.
In der direkten Ansprache des Erzählers an den Vater wird sein unfassbarer Schmerz deutlich.
Es ist eine traurige Geschichte voller Leid und Sehnsucht nach einem besseren Leben. Kinder werden in die Hände von Verwandten gegeben, müssen allein den Alltag bewältigen, es geht um Migrationsgeschichten und Erniedrigung. Zwischen
all den traurigen Zeilen klingt auch mal etwas Hoffnung, die Schwärmerei für Mädchen, der Zusammenhalt der Freunde, Identität und Sozialisation sowie die Reflexion des Erzählers über dieses Land.
„Wir sind die Söhne von Müttern, die Männer, mit denen wir in Berührung kamen (…) sie sorgten dafür, dass wir Angst bekamen, vor der Berührung mit Männern und anderen Jungs.“
Ein trauriges und intensives Buch voller einsamer Menschen in einem fremden Land. Mitten in Deutschland.