Es war einmal

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aliciaalicia Avatar

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Necati Öziri steht mit seinem Debütroman „Vatermal“, erschienen im Claassen-Verlag, zurecht auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis.

Der Theaterautor zeigt mit diesem rhythmischen Prosatext wie ein Roman mit netflixhaftem Suchtpotential gelingt.

Der Ich-Erzähler Arda schreibt auf der Intensivstation gegen das Leben an und entfaltet es dadurch mit einer Wucht.
Mit sehr genauen Beobachtungen von absurden alltäglichen Situationen, von Charakteren und menschlichen Ticks, von Raumatmosphären, von Bürokratie und vom Schicksal, wird der Text zu jeder Zeit lebendig. Durch den Roman zieht sich das Motiv des Wartens, begleitet von Resignation, von Hoffnung, von Freundschaft, von Verbundenheit, von Verlust.

Egal wie ambivalent die Figuren sind, Öziri geht durchweg einfühlsam mit ihnen um. Er entblättert nach und nach, wie deren Leben und Körper von sozialen und politischen Umständen gezeichnet sind. Auch wenn die Figuren verletzen, brüchig sind, verantwortungslos, überfordert, spinnt Öziri ein Netz an Lebensgeschichten, das nicht jede handelnde Entscheidung legitimiert, aber nachvollziehbar werden lässt. Selten habe ich einen Text gelesen, in dem die Liebe des Autors für seine Figuren so stark spürbar ist ohne dass es kitschig wird.

Neben dem Humor, der manches mal in einen schmunzelnden Sarkasmus schwappt, fällt auch auf, dass Öziri es schafft, die Sprache des Ich-Erzählers gemäß seines Alters und Umfelds immer wieder zu verändern. Neben einer jugendlichen Freiheit und Gelassenheit finden sich immer wieder reflexive, nachdenkliche Passagen aus der Gegenwart.

Noch schöner ist es, dass sich dieses Buch als einen antirassistischen und feministischen Text lesen lässt ohne dies explizit herauszustellen. Neben der Geschichte von vier tiefverbundenen Freunden in ihrer Schulzeit, ist es die Geschichte von einer alleinerziehenden Frau und Mutter, die in ihrem Leben viele Hoffnungen und Visionen hat gehen lassen müssen, und einer verantwortungsbewussten, widerständigen großen Schwester. Allen Figuren – aber besonders ihr – liegt ein Gerechtigkeitssinn inne, für den sie sich immer wieder einsetzen muss.

Die 291 Seiten machen süchtig, wie eine gute Serie und es fällt schwer, sich am Schluss von all den Figuren, die bis zum Ende geblieben sind, zu verabschieden.