Der abwesende Städter

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Monika Helfer schreibt dort weiter, wo sie mit ihrem erfolgreichen Roman „Die Bagage“ aufgehört hat – eine autobiografisch-fiktionale Aufarbeitung ihrer Herkunft, ihrer Familie in Fragmenten. Diesmal hat sie sich mithilfe ihrer Stiefmutter auf die Spurensuche ihres verschlossenen Vaters begeben, der sich gerne entgegen der Wahrheit als Städter gesehen hat. Aber Vati war auch im Krieg, hat dort physische und psychische Traumata erlitten, die ihn teilweise stoisch, abwesend und eigenartig werden ließen. Hoch oben auf der Tschengla, im Kriegsopfer-Erholungsheim in den Bergen lebt die Familie und der Vater kümmert sich als Verwalter um Gäste und die hauseigene, gespendete Bibliothek. Bücher sind ihm neben dem Inhalt auch als Gegenstand so wertvoll, dass er sie gerne anstatt Gespräche zwischen die Menschen schiebt und sogar als Schatz im Wald vergräbt.

„Ihm war sein ganzes Leben hindurch der Gegenstand ebenso wichtig wie der Inhalt. Das ist untertrieben. Heilig war ihm das Buch.“ (S. 21)

Monika Helfer erzählt zarte Anekdoten ihrer Kindheit, flechtet Geschwister und verschiedene Verwandte ein, fängt alle Charaktere sehr authentisch und plastisch ein – in einer präzisen, klaren, lakonischen und schnörkellosen Sprache. Vieles Reflektierte steckt zwischen den Zeilen und Gesprächen. Szenisch reihen sich wunderschöne Tier- und Landschaftsbeschreibungen in subtil erzählte Schicksalsschläge einer Familie in der Nachkriegszeit. Helfers Mutter verstirbt sehr früh, die Kinder werden zeitweise auf verschiedene Verwandte aufgeteilt.

Erinnerungsbruchstücke versuchen dem Verschwommenen chronologisch abwechselnd etwas Schärfe zu verleihen. Wer war ihr Vati wirklich? Was ist wahr, was ist nur angedichtet in den Erinnerungen? Kann sie ihn später so akzeptieren, wie er ist und war? Und war Vati mit seinem Leben zufrieden? Feinfühlig und melancholisch flechtet Helfer auch eigene Erfahrungen ein, wie den Tod ihrer Tochter Paula.

Monika Helfer hat einen eindringlichen, episodisch gut komponierten Erinnerungsroman geschrieben, der sich mit seiner gewissen Distanziertheit nicht aufdringt, sondern gerade wegen seiner klaren Reduziertheit und Skizzenhafte tief in die Gefühlswelt gräbt und bleibenden Eindruck hinterlässt.

„Er sei ein Städter. Mit einem solchen Fleiß erzählte er ihr, dass sie ihm nicht glaubte. Aber das spielte keine Rolle. Inzwischen tat jeder, als wäre die Welt eine andere.“ (S. 31)