Die Anekdoten eines Strafverteidigers

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annajo Avatar

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Elf Geschichten, elf unterschiedliche Verbrechen mit ganz unterschiedlichem Entstehungshintergrund schildert Ferdinand von Schirach aus seiner eigenen Erfahrung und seinem Erleben als Strafverteidiger. Dabei kommen seine Klienten aus allen Bevölkerungsschichten. Allerdings erzählt von Schirach nicht nur von Mord und Totschlag, sondern auch einige Male von den skurrilen Seiten der Strafverteidigung (z.B. in "Der Igel" oder "Glück"), und auch der tragischen Seite ("Das Cello"). Der Sprachstil ist nüchtern und sachlich und hält sich wenig mit Nebensächlichkeiten auf. So bleiben die Geschichten immer spannend und kurzweilig.
Allerdings fehlte mir an einigen Stellen der Einblick in die Detektivarbeit, in anderen Geschichten wiederum wurde dieser sehr gut gegeben (z.B. in "Summertime"). Bislang habe ich "true crime"-Bücher meist aus der Perspektive der Ermittlungsbeamten oder des Gerichtsmediziners gelesen. Von Schirach bietet da eine andere, neue Perspektive, die man möglicherweise nicht an den herkömmlichen Büchern des Genres messen kann. Ich hatte allerdings auch etwas den Eindruck, dass der Autor die Geschichten erzählt, um ein Publikum zu unterhalten und vielleicht etwas Kapital daraus zu schlagen. Unterhaltsam war dieses Buch aber auf jeden Fall und es liest sich auch sehr schnell weg. Zudem gibt der Autor keinerlei Wertung ab, sondern überlässt diese dem Leser. Dieser Auftrag des selbst Wertens wird immer wieder deutlich, wenn von Schirach eine Episode schildert und durch einen Nachtrag einen Hinweis darauf gibt, wie sie aus- oder weiterging. In seine eigene Gedankenwelt oder auch mögliche moralische Bedenken lässt er den Leser jedoch nicht blicken. Dies macht die Notwendigkeit deutlich, dass ein Strafverteidiger kein eigenes Urteil über den Klienten fällt und in große Bedrängnis kommt, wenn er weiß, dass sein Klient tatsächlich der Täter ist. Trotzdem fehlte mir bei vielen der Geschichten etwas die psychologische Tiefe und die Analyse dessen, wie es soweit kommen konnte und was in den Klienten vorging. Auch waren mir einige der Geschichte zu brutal; beispielsweise ist mir bei "Tanatas Teeschale" fast schlecht geworden aufgrund des Ausmaßes der (geschilderten) Gewalt und ich konnte einfach nicht nachvollziehen, wie Menschen so etwas tun können.
Alles in allem war dieses Buch aber unterhaltsam, schnell und gut zu lesen und hat mir überwiegend Lesevergnügen bereitet. Besonders gut fand ich das breite Spektrum der Straftaten, die dargestellt wurden und sich nicht nur auf Mord beschränkten. Krimi- und Thrillerfans würde ich dieses Buch auf jeden Fall empfehlen; forensisch-psychologisch interessierte Leser werden hier allerdings etwas zu kurz kommen. Ich selbst würde aber auch weitere, zukünftige Bücher des Autors lesen.