Menschen wie du und ich

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
krimine Avatar

Von

Menschen wie du und ich. Ruhig, unscheinbar, angepasst. Sie gehen täglich ihrer Arbeit nach, kümmern sich um die Familie, schwatzen am Gartenzaun mit dem Nachbarn oder treffen sich auf ein Glas in der Kneipe. Und eines Tages, aus heiterem Himmel, geschieht das Unfassbare. Sie lassen ihr zufriedenes, normales Leben hinter sich und werden zu Verbrechern. Doch was treibt sie dazu? Was muss geschehen, dass das Unfassbare passiert?
Fragen, denen sich der Autor Ferdinand von Schirach in seinem Buch „Verbrechen“ stellt. Ohne Schnörkel, schlicht und einfach erzählt, reiht er die Fakten aneinander, berichtet von Alltäglichkeiten, zeigt Entwicklungen auf. Entwicklungen, die schlicht und einfach ihren Lauf nehmen. Nur, leider in die falsche Richtung.

Fähner. Intelligent, solide, freundlich. Ein angesehener Arzt. Bis er Ingrid kennenlernt. Nach der Hochzeit kommen die Vorwürfe. Nach den Vorwürfen, die Beschimpfungen. Dann das Anschreien. Fähner flüchtet sich in die Arbeit, später dann in seinen Garten. Sie leben sich auseinander, haben keine Gemeinsamkeiten mehr. Aus Liebe wird Hass. Und dann eines Tages passiert es, das Unfassbare. Fähner greift zur Axt. Auf zwölfeinhalb Seiten erzählt der Autor das Leben des Arztes, den man in Rottweil schätzt. Auf dessen Urteil man vertraut. Und doch ist sein Leben nicht das, was man erwartet hätte.

Feldmayer. Ein Mann, der dreiundzwanzig Jahre seines Lebens in einem Museum zubringt. Dreiundzwanzig Jahre, in denen er, von Zuverlässigkeit geprägt, jeden Tag seinen Job versieht. Einen Job, der nicht gerade anspruchsvoll ist und so beginnt Feldmayer die Fliesen des Raumes zu vermessen und Statistiken über Besucher aufzustellen. Aber nicht nur deren Anzahl, Altersstruktur und Geschlecht interessieren ihn, auch Kleidung, Dauer des Aufenthalt und wie lange und aus welchem Winkel ein Ausstellungsstück betrachtet wurde. Eine Besessenheit, die sich im Laufe der Zeit immer mehr ausprägt und seltsame Formen annimmt. Als ihm eines Tages die Skulptur eines Jungen bewusst wird, der versucht ein Dorn aus seinem Fuß zu ziehen, ist es um ihn geschehen. Von seiner übertriebenen Perfektion manipuliert, sucht er vergeblich nach dem Dorn an der Skulptur und als er keine findet, ist das Fiasko vorprogrammiert.

Zwei Lebensläufe, gewählt aus vielen in diesem Buch. Lebensläufe, die, geprägt durch bestehende Umstände und persönliche Eigenheiten, zu Straftaten führen, die niemand hätte vorhersehen können. Nicht einmal die Täter selbst. 
In seinem Buch „Verbrechen“ gelingt es Ferdinand von Schierach in einer sachlichen, gut verständlichen und flüssig zu lesenden Art und Weise aufzuzeichnen, wer diese Menschen sind, die hinter den begangenen, oftmals ungewöhnlich anmutenden, Taten stehen, wie ihr Leben verlief und was den Auslöser für diese bilden. Kurz und knapp erzählt, basieren sie auf wahren Begebenheiten, ohne sie zu interpretieren und eine Wertung vorzunehmen. Und genau das ist es, was das Buch so besonders macht. Eine Lektüre, die lesenswert und nachdenklich zugleich, dem angeblich „normalen“ Menschen, Unnormales erklärt und aus den gegebenen Besonderheiten seine Faszination bezieht.