Über Täter und Opfer

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buecherfan.wit Avatar

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Strafverteidiger Ferdinand von Schirach hat in "Verbrechen" 11 Fälle aus seiner Praxis zu Geschichten verarbeitet,

die überwiegend so beeindruckend sind, wie es die Leseprobe erwarten ließ. Keine Tat gleicht der anderen. Die

Betrachtung von Tätern, Opfern und Tathintergründen ist sehr differenziert und eingehend. Die Darstellung zeigt,

dass von Schirach den Dingen auf den Grund geht und auch schon einmal zu ungewöhnlichen Mitteln greift, um

seinen Mandanten zu helfen, wie im Fall des atypischen Bankräubers in der letzten Geschichte. Es wird in anderen

Fällen erschreckend deutlich, wie häufig die Gerechtigkeit nicht zum Zuge kommt, weil die Beweise für eine erfolg-

reiche Anklage fehlen. So bleibt offensichtlich die Tat eines Auftragskillers ungesühnt, der erfolgreich seine

Identität verbirgt, nachdem er in einer Notwehrsituation seine beiden Angreifer routiniert  und eiskalt getötet hat.

Auch gegen mafiöse Strukturen kommt die Justiz nicht an, wie der Fall des beraubten Japaners deutlich macht.

Beängstigend finde ich auch die Fälle der psychisch gestörten oder geisteskranken Täter ("Grün", "Liebe"). In

"Liebe" schätzt der Strafverteidiger die Situation völlig richtig ein und macht ein Hilfsangebot. Aus falsch verstandener

Mutterliebe wird ihm jedoch das Mandat entzogen, der gefährdete junge Mann wird nicht therapiert und tötet

keine zwei Jahre später eine Frau. Auch ein noch so erfolgreicher Strafverteidiger muss in solchen Situationen 

sehen, dass sein Handlungsspielraum begrenzt ist. 

Die einzelnen Fälle sprechen für sich - sie benötigen keinen Kommentar. Wegen seines schnörkellosen, lakonischen Stils

ist von Schirach mit Raymond Carver verglichen worden - zu Recht finde ich. Er erinnert mich  an den Erzählband

"Würdest du bitte endlich still sein, bitte."  Insgesamt war das eine sehr positive, packende Leseerfahrung - auch

und vielleicht gerade weil sich diese Dinge wirklich ereignet haben.