Eher psychologisch interessant und dadurch spannend

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sleepwalker1303 Avatar

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„Verlogen“ ist der zweite Teil von Eva Björg Ægisdóttirs Krimi-Reihe „Mörderisches Island“. Anfangs hatte ich meine Probleme, mich in die Geschichte einzufinden, aber als ich mich durch die ersten paar Dutzend Seiten gekämpft hatte, bin ich durch den Rest des Buchs praktisch durchgeflogen. Der Sog des Krimis hat mich gepackt und bis zum Schluss nicht mehr losgelassen.
Aber von vorn.
Sieben Monate lang war die 31jährige Maríanna Þórsdottir verschwunden. Zuerst ging die Polizei davon aus, die alleinerziehende Mutter einer 15jährigen Tochter hätte sich einfach nur abgesetzt, zumal sie schon zweimal für längere Zeit weg war. Seit der Zeit lebt ihre Tochter Hekla zeitweise bei Pflegeeltern, bei denen sie gern dauerhaft bleiben würde. Ihr hat Maríanna einen Zettel mit der Aufschrift „Es tut mir leid“ hinterlassen. Dadurch erhärtete sich schnell die Vermutung, sie habe Su**id begangen. Als aber dann im Lavafeld von Grabrók ihre Leiche gefunden wird und die Rechtsmedizin feststellt, dass die junge Frau ermordet wurde, muss die Polizei die Ermittlungen noch einmal aufnehmen. Die Ermittler verfolgen alte und neue Spuren, verhören Zeugen und Verdächtige, der Fall wird immer komplexer und komplizierter. Die Menschen, die sie befragen, können sich entweder nicht erinnern oder scheinen ganz offensichtlich zu lügen. Elma steht vor der Frage: haben sie damals etwas übersehen oder übersehen sie jetzt etwas ganz Entscheidendes?
Das Buch wird in zwei Handlungssträngen erzählt. Tagebuchartig begleitet die Leserschaft eine anonym bleibende junge Frau durch 13 Jahre ihres Lebens nach der Geburt ihrer Tochter. Man erlebt mit, wie sie das Baby erst ablehnt, sich nach und nach aber an ihr Leben als alleinerziehende Mutter gewöhnt und ihr Kind akzeptieren, sogar lieben lernt. Dieser Erzählstrang trifft kurz vor Schluss auf den Handlungsstrang im Hier und Jetzt, in dem die Ermittlungen (neben einigen privaten Erlebnissen der Protagonisten) im Mittelpunkt stehen. Das Buch ist unblutig, kommt ohne derbe Sprache aus und die Zusammenarbeit der Ermittler ist professionell und kollegial. Das ist bei Krimis eher selten, die bauen meist eher auf Rivalität und Konkurrenz unter Kollegen.
Sowohl die Charaktere als auch die Stimmung und das Setting fand ich sehr gut beschrieben und sorgfältig ausgearbeitet. Elma hat mit ihrer eigenen Familie zu kämpfen, dazu leidet sie immer noch unter dem Suizid ihres Lebensgefährten Davíð. Da sie aber mit ihrem Nachbarn Jakob eine Beziehung eingegangen ist, scheint diese Wunde langsam zu heilen. „Elma war nicht ganz sicher, wie sie und Jakob zueinander standen.“ – insgeheim würde sie nämlich viel lieber ihren Kollegen Svær näher kennenlernen. Gígja, die Frau ihres Vorgesetzte Hörður kämpft gegen Brustkrebs, was auch ihn schwer belastet. Die weiteren Charaktere finde ich ebenfalls sehr dreidimensional gestaltet, alle haben ihre Besonderheiten. Auch die Beschreibung der Landschaft fand ich sehr gelungen, die Sprache von Eva Björg Ægisdóttir finde ich überhaupt sehr angenehm, manchmal fast poetisch.
Spannend kann man das Buch nicht nennen, aber die Autorin hat die psychologische Aspekte hervorragend ausgearbeitet. Dadurch hat die Geschichte auf mich eine Sogwirkung ausgeübt, der ich mich nicht entziehen konnte. Die Dramatik, die hinter allem steckt, die Tragik, die auch zwischen den Zeilen steht, dazu die düstere Atmosphäre – die Kombination machte das Buch für mich zu etwas ganz Besonderem. Für mich kam die Hauptspannung dadurch auf, dass ich mitgerätselt und mich fortlaufend gefragt habe, wer lügt, wieso gelogen wird und was das Motiv hinter allem sein könntem und natürlich die Frage, wer die anonym bleibende Mutter im tagebuchartigen Erzählstrang ist. Wow, lag ich da falsch!
Insgesamt hat mir das Buch viel besser gefallen als der Vorgänger „Verschwiegen“. Natürlich ist noch etwas Luft nach oben, mal sehen, ob sich die Autorin mit dem dritten Teil der Serie („Verborgen“) erneut gesteigert hat. Von mir gibt es fünf Sterne.