Wie Literatur die Erde formt

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Haben Sie sich je gefragt, wie es eigentlich sein konnte, dass Odysseus sich im Mittelmeer so lange verirrte? Oder, warum Mose 40 Jahre unterwegs war? In den Zeiten unserer Mythen war all dies plausibel, denn die so exakte Draufsicht auf die Erde, die wir von der Wetterkarte am Ende der Nachrichten bis zum Stöbern bei Google Earth kennen, gab es noch nicht. Das Buch "Verrückt nach Karten" zeigt uns sehr anschaulich, wie groß aber auch unsere Sehnsucht danach ist, Inseln, Wege, Länder, Berge und Täler, Eis- und Wüstenlandschaften in unseren Köpfen entstehen zu lassen. Der Band ist aber kein weiterer Atlas zu utopischen oder literarischen Orten. Das Besondere: Die Erfinder von Geschichten und Karten selbst kommen in kurzen Essays zu Wort, die ihr Verhältnis zu literarischen Karten reich illustriert an Beispielen darlegen. Was da versammelt wird, ist erstaunlich. Auch Skizzen - z. B. von Tolkiens Mordor aus dessen Hand - finden sich darunter. Die großen Vorbilder aus dem Mittelalter werden genauso gezeigt. Dabei überzeugt der Band auch durch sein Äußeres: Er liegt zwar in der Hand wie ein Atlas, zieht den Betrachter aber gleichzeitig mit seinem bunten Einband in den Bann der Phantasie. Wer allerdings Vollständigkeit erwartet, der wird aus deutschsprachiger Sicht etwas enttäuscht sein: Wo bleiben Michael Endes Lummerland, wo Schnabels Felsenburg, wo Arno Schmidts Gelehrtenrepublik und wo die genauen aber fiktiven Reisewege Karl Mays? Durch die eher englische Perspektive lassen sich diese Lücken nicht vermeiden, aber man ist schnell getröstet durch die vielen Anregungen, in welche Lesewelten man noch eintauchen kann - mit oder ohne Karte.