Hinter der Fassade

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marapaya Avatar

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Wie schafft es Dror Mishani mit seinen Büchern nur, mich für ihn einzunehmen, obwohl ich mit den Romanen so meine Problemchen habe? Nach „Drei“ habe ich wirklich ernsthaft Abstand davon genommen, mich online zu daten. Zu verstörend war diese Täterfigur und die Schicksale dieser beiden Frauenfiguren. Beeindruckt hat mich aber wirklich die Darstellung dieser perfiden Herangehensweise des Täters, die Frauen zu isolieren. Ich habe mich da wirklich selbst erkannt und gedacht, genau so wäre ich auch darauf reingefallen. Sehr gruselig. In seinem neuen Buch „Vertrauen“ stellt Mishani eine neue Ermittlerfigur vor, der es eigentlich im privaten Leben so gut wie lange nicht geht und die doch im beruflichen Leben desillusioniert und frustriert nach einer Alternative sucht. Avi Avraham leitet eines der Ermittlerdezernate in Tel Aviv und hat vor allem mit Gewaltdelikten zu tun. In seinen Augen fühlt sich die Aufklärung eines jeden Falles mittlerweile nur noch sinnlos an, weil es das jeweilige Verbrechen nicht ungeschehen machen kann. Außerdem hat Avi seine Vorgesetzte an den Krebs verloren. Er trauert und hadert mit seinem neuen Vorgesetzten. Es ist für mich als Leser schwer zu entscheiden, ob Avi möglicherweise depressiv ist, an Burnout leidet oder einfach seinen Job wirklich satt hat. Im Text schwingt aber so ein unzufriedener Unterton mit, den ich zwar wahnsinnig anstrengend finde, der mich allerdings auch seltsam berührt. Ähnlich wie bei „Drei“ ziehe ich unbewusst Parallelen zu meiner eigenen Gefühlslage und fühle mich mit Avi seltsam verbunden.
Im Roman selbst laufen zwei Fälle parallel, die auf den ersten und auch auf den zweiten Blick nichts miteinander gemeinsam haben, sich aber an merkwürdigen Punkten plötzlich überschneiden. Avi verfolgt den Fall eines erst vermissten, dann tot aufgefundenen Touristen mit möglicher Mossad-Vergangenheit und seine Kollegin Esti muss sich mit einer Frau auseinandersetzen, die ein Neugeborenes ausgesetzt hat. Mishani hat sich für diesen zweiten Fall erzählerisch für einen Perspektivwechsel entschieden und lässt hier den Verlauf aus Sicht der Täterin schildern. Ein starker Kontrast zum Erzählen aus Avis Sicht und ein nächster Punkt auf der Leserebene, der die Lektüre etwas unbequemer als üblich erscheinen lässt. Auch die gleichgestellte Gewichtung der beiden Fälle – möglicher Mord und Kindesaussetzung – irritieren mich irgendwie und meine Irritierung wiederum erschreckt mich. Als würde ich unweigerlich das Leben eines ungewollt Neugeborenen weniger hoch ansetzen als den Tod eines älteren Mannes.
Zum Ende des Buches bin ich unsicher, ob mir „Vertrauen“ gefallen hat oder ob ich vielleicht nicht alle Zwischentöne im Text richtig verstanden habe. Ich bin ob der plötzlichen Dimension, die sich in Avis Fall für ihn und sein Umfeld auftut, schlicht überfordert und mache zu. Auch im zweiten Fall überfordert mich die Täterfigur Liora in ihrer einnehmenden Perspektive zunehmend. Als würde Mishani nicht wollen, dass ich klar zwischen richtig und falsch unterscheiden kann. Eine aufwühlende Lektüre, die wie nebenbei Konflikte in der israelischen Gesellschaft enthüllt und beschreibt, zwischenmenschliche Themen unserer Zeit in den Mittelpunkt rückt und mit einem hoffnungsvollen Ausblick weitere Begegnungen mit Avi Avraham in Aussicht stellt.