Lara Croft trifft Wallander

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singstar72 Avatar

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Vier Tage in Kabul

Die Leseprobe hatte mich gleichzeitig neugierig und skeptisch gemacht. Neugierig, weil der Stil zwei Seiten hatte – Lara Croft traf auf Wallander. Skeptisch war ich, weil diese neue Serie gleich so offensiv daherkam – die Autorin hat schon jetzt die Verfilmungsrechte verkauft, wo doch gerade erst der erste Band erscheint. Das schien mir auf ein arg stromlinienförmiges Produkt hinzudeuten. Nun habe ich es gelesen, und vergebe erstaunte und positiv überraschte vier Sterne!

Eine schwedische Polizistin, Amanda Lund, hält sich als militärische Ausbilderin in Afghanistan auf. Das Buch beginnt mit genau einer solchen, beinahe erwartbaren Szene: Action in Reinkultur. Kugelhagel und menschliches Drama inklusive. Das war also schon mal der „Lara Croft“-Anteil. Dann setzte langsam die Kriminalhandlung ein. In Stockholm wird eine „ermordete Schwuchtel“ aufgefunden. Und in Kabul verschwinden zwei Diplomaten. Das Außenministerium vermutet einen Zusammenhang – also wird Amanda Lund informiert, und losgeschickt, um in der vermutlichen Entführung vorzugehen. Kein ganz einfaches Unterfangen in einem Land, das seit Jahrzehnten militärisch zerrissen ist – und erst recht nicht für eine Frau!

Ich fand die Aufteilung gut – die Handlung erstreckt sich genau über die im Titel erwähnten vier Tage. Jeder Abschnitt = ein Tag. Die Handlung beginnt morgens, und endet abends. In Echtzeit bekommt man also als Leser den fortschreitenden Zeitdruck zu spüren, unter dem Amanda Lund steht. Dabei sind die Entwicklungen von der Autorin gut gestreut. Die Szene wechselt regelmäßig zwischen Schweden und Afghanistan. Man merkt, dass der Fall verzwickt und diplomatisch gefährlich sein muss. Die Spannung zieht dabei Schritt für Schritt an.

Ziemlich gut fand ich auch die Schilderung Afghanistans! Natürlich kann ich dabei nur auf relativ wenige Kenntnisse zurückgreifen. Mein Wissen um Afghanistan stammt aus den Romanen von Khaled Hosseini, und aus den Nachrichten. Aber selbst das hat mir schon geholfen. Die Volksgruppen in Afghanistan, die Sprachen, die Landschaften, die Weite, die Haltung zur Rolle der Frau, das Klima, das zwiespältige Verhältnis gegenüber Ausländern – all das kam mir bekannt vor. Es war auch nicht zu detailfreudig geschildert, so dass es nicht vom Thriller-Anteil ablenkte.

Ich vergebe dennoch „nur“ vier Sterne. Das hat mehrere Gründe. Ich finde, dass mehrere vielversprechende Handlungsfäden aus unerfindlichen Gründen fallen gelassen werden. Zum Beispiel der um den Stockholmer Ermittler Oskar Karlsson. Er taucht nach drei Szenen einfach nicht mehr auf! Das fand ich sehr schade. Mir hatte sehr gefallen, wie er sich im Polizeialltag aufrieb, und warum er welche Fehler in der Ermittlung um den Schwulenmord machte.

Zweitens, ich persönlich fand die Aufteilung in zwei Erzählperspektiven nicht gänzlich gelungen. Es ging wohl nicht anders, denn die Handlung spielt ja an zwei Orten, in Schweden und in Afghanistan. In Kabul „erzählt“ Amanda Lund, in Stockholm ihr schwedischer Kollege Bill Ekman. Es ist dem Buch schon anzumerken, dass der Autorin die weibliche Perspektive besser gelungen ist. Sie hat sich offenbar selbst ein wenig in die Rolle der Amanda „hineingeschrieben“.

Den dritten Aspekt kann ich nicht erklären, ohne Wichtiges über die Auflösung zu verraten. Sagen wir einmal so – nach gut drei Vierteln des Buches hatte ich in etwa erraten, wer der Drahtzieher und Täter war. Das Motiv hätte letztlich weniger vorhersehbar sein können. Aber das mag auch „Jammern auf hohem Niveau“ sein meinerseits.

Das Buch war eindeutig sehr spannend – gut getaktet, mit einer erfrischend zupackenden Sprache, die dennoch viel Zwischenmenschliches preisgab. Lediglich einige Würdenträger waren doch etwas stereotyp gezeichnet, und auch in puncto Motiv und Hintergründe kann die Autorin hinzulernen. Und das Amanda Lund auch noch diese bestimmten privaten Sorgen haben musste – das hat einfach nicht sein müssen. Dennoch – ein erfrischendes Debüt, dessen Folgebände ich gerne lesen werde.