Thriller im Schnelldurchlauf!

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
tintenteufel Avatar

Von

Hans-Uwe Kling, mir bislang bekannt durch seine witzigen Kinderbücher, wagt sich mit ‚Views‘ in ein neues Genre: den hochspannenden Gegenwartsroman, wie es der Verlag auf dem Beinahe-Klappentext nennt. Die Gestaltung des Bucheinbandes ist auch das erste, was dem Leser auffällt, wenn er das Buch in die Hand nimmt: Buchdeckel und Buchrücken sind aus ungewöhnlich dickem, steifem Karton gefertigt, Buchrücken sowie erste und letzte Seite sind leuchtend rosa. Eine Farbe, die meinen Mann im Buchladen übrigens davon abgehalten hätte, das Buch überhaupt in die Hand zu nehmen.
Interessanter ist die Gestaltung des Covers wie ein unkenntlich gemachtes, gesperrtes Video in den sozialen Medien, das aufgrund problematischen Inhaltes erst auf ausdrücklichen Wunsch des Nutzers sichtbar wird, Tatsächlich geht es in dem Roman um ein brutales Video, das die Vergewaltigung eines seit Tagen vermissten jungen Mädchens durch drei Männer offenbar afrikanischer Herkunft. Dieses Video geht so schnell viral, das BKA-Kommissarin Yasira Saad schnellstmöglich das Opfer finden und die Täter ausfindig machen soll, bevor gewalttätige fremdenfeindliche Demonstrationen überhandnehmen und rechtsradikale Bürgerwehren Lynchjustiz üben.
Angesichts der erstarkenden populistischen rechten Kräfte in ganz Europa beschäftigt sich das Buch also mit einem topaktuellen Thema von großer gesellschaftlicher Brisanz, und ich fand auch die Idee, als Ermittlerin eine Frau mit Migrationshintergrund einzusetzen, durchaus reizvoll. Ich erwartete einen spannenden Thriller mit vielen politischen und gesellschaftskritischen Implikationen. Tatsächlich nahm mich das Buch gleich auf den ersten Seiten gefangen. Die Protagonistin ist eine sympathische und authentische Figur, der ich gerne bei ihrer Suche nach den Tätern und bei der Auseinandersetzung mit unterschwelliger Diskriminierung folgen wollte.

Leider verlieren diese gesellschaftlichen Aspekte ziemlich schnell an Bedeutung, sind höchstens Auslöser für Actionszenen. Wer dieses Video für sich instrumentalisieren oder die Ermittlerin wegen ihrer Herkunft verunglimpfen oder attackieren will, bleibt nur eine Randnotiz. Stattdessen erhöhen unerwartete Wandlungen das Tempo stetig, wobei aber auch der Thrill wegen des Eiltempos irgendwie ausbleibt. Der Leser hat einfach wenig Gelegenheit, sich in die Situation richtig hineinzuversetzen und in die Ängste der Personen hineinzufühlen. Das Ende kam auch relativ unvermittelt und deutet die Botschaft des Buches nur an.

Daher kann das Buch meine Erwartungen an einen gesellschaftskritischen Thriller nicht ganz erfüllen: eine etwas bessere erzählerische Ausgestaltung hätte ihm gut getan. Aber es war eine kurzweilige und spannende Lektüre mit einigen unerwarteten Wendungen!