Auf der Suche nach der eigenen jüdischen Identität

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Judith Fanto erzählt in ihrem (historischen) Roman "Viktor" die Familiengeschichte einer jüdischen Familie auf zweit Zeitebenen.
Geertje, eine junge Jurastudentin, möchte im Handlungsstrang der Buchgegenwart wissen, wer sie ist. Vor allem das Schweigen ihrer Familie über die jüdische Vergangenheit, insbesondere über Viktor, möchte sie auflösen. Geertje begibt sich auf die Suche und zeichnet die Spuren ihrer Familie in den Jahren ca. 1914 bis 1950 nach.
Viktor Rosenbaum ist der Protagonist des Handlungsstrangs, der 1914 startet und die Folgejahre beschreibt. Er ist eine ambivalente Figur. Warum ausgerechnet er eine entscheidende Bedeutung für Geertjes Leben und Identität einnimmt, muss man selbst beim Lesen herausfinden.

Fanto beschreibt die Angst der Postmemory-Generation vor erneutem Antisemitismus und die Blockaden, den eigenen Kindern die jüdische Identität und Vergangenheit über Gebote und Verbote hinaus zu vermitteln. Die Schilderungen der Gefühlswelten der Mutter von Geertje und Geertje selbst werden sehr gut und einfühlsam geschildert. Auch die Perspektive auf die Zurückgebliebenen Juden in Deutschland war ein interessanter Ansatzpunkt.

Die letzten 80 Seiten dieses Romans waren für mich aber nicht mehr so gut ausgearbeitet. Ich hatte das Gefühl, dass ein komplexer Sachverhalt auf einen einzigen Aspekt aus all den herrschenden Problemen reduziert wird. Die Phrasen häuften sich zunehmen, was schade war, da die Autorin zuvor sehr gut die Innensichten der Protagonisten ausgestaltete. Auch der Plottwist gegen Ende und dessen Auflösung hat für mich das Buch nicht noch spannender gemacht oder die Wirrungen der Identität gewinnbringend dargestellt. Vielmehr hat er den Konflikt der Ich-Suche im Spannungsfeld mit der Last der Vergangenheit der jüdischen Familiengeschichte der Rosenbaums nicht sinnvoll in die Länge gezogen.

Nichtsdestotrotz ist "Viktor" ein wichtiges Buch, um die innere Zerrissenheit der jüdischen Identität kennenzulernen. Geertjes Geschichte und Ich-Suche steht stellvertretend für viele. An manchen Stellen hätte ich mir persönlich etwas mehr Tiefgang gewünscht, ein bisschen mehr Komplexität am Ende des Romans. Dennoch lesenswert und originell erzählt.