Ein Meisterwerk

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
buchfreude Avatar

Von

Kennt ihr das, wenn ihr einen Protagonisten gerne als Freund/Kumpel hättet? So ging es mir mit Victor. Er ist ein Mensch mit einem großen Herzen, der zwar oft das ein oder andere Frauenherz zerbricht, aber dafür für seine Familie, seine Freunde und alle wehrlosen Menschen selbstlos eintritt. Victor ist ein Überlebenskünstler, der sich mit charmanten Witzen und manchmal auch gar frechen Ausflüchten zu helfen weiß. Das stößt seinen eher konservativen Vater schon oftmals vor den Kopf. Aber im Herzen sind sie sich nah. Doch was sich anhört wie eine amüsante Geschichte über einen liebenswürdigen Draufgänger, ist tatsächlich so viel mehr. Denn Victor ist ein Verwandter der Studentin Geertje, die gerne ihre jüdischen Wurzeln erkunden möchte und so auch auf die Geschichte ihres Vorfahren stößt. Im Jahr 1994 in Nimwegen findet Geertje als Judith nach und nach zum Judentum und setzt sich mit der Schoah auseinander, die jahrelang von ihrer Familie verschwiegen wurde. Die Ermordung von Familienmitgliedern wird nicht beim Namen genannt, sondern nur erwähnt, dass sie nicht mehr leben. Ihre Familie möchte die Vergangenheit hinter sich lassen, während Judith sie unbedingt entdecken will.

Die Autorin Judith Fanto erzählt vom Leben Victors in Wien in den Anfängen des 20. Jahrhunderts und die Suche von Judith in den Niederlanden Ende des 20. Jahrhunderts. Abwechselnd werden die verschiedenen Erzählungen präsentiert und verzweigen sich nach und nach immer mehr. Die Geschichten wirken wie ein Flickenteppich, der zunächst zusammenhanglos auf einem Haufen liegt und immer enger verwebt wird, desto weiter das Buch geht. Der Erzählstil von Judith Fanto ist fesselnd und ergreifend. Er weckt die Gefühle der Protagonisten in einem selbst und lässt die verschiedenen Handlungsweisen verstehen. Gleichzeitig dient er als Zeugnis für die Verfolgung der Juden und gleichzeitig die Handhabung der folgenden Generationen mit diesen schrecklichen Erlebnissen innerhalb ihrer Familie. Außerdem lernt der/die Leser*in eine Menge über die jüdische Tradition und gewährt einen Einblick in das Leben einer Familie, die selbst bestimmen möchte, als was sie sich darstellen. Die Figuren sind vielseitig und wirken sehr real. Dadurch fühlt man eine Verbundenheit mit ihnen, die einen tief ins Herz geht. Fanto schafft es beim Lesenden einen Nachhall der erzählten Geschichte zu bewirken. Man möchte dieses Buch nicht loslassen, doch gleichzeitig ist es so schnell gelesen, dass man schließlich davorsitzt und innehalten muss. „Victor“ ist nicht einfach nur ein Buch, es ist eine Erzählung von Leben, die genauso stattfinden können und die einen durch den Schreibstil der Autorin tief berühren.