Ein vielschichtiger biographischer Roman, der tief berührt und nachhallt

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Der Roman "Viktor" von Judith Fanto verknüpft die Identitätssuche der jungen Geertje, die schwer mit dem vererbten Trauma der "Überlebenden" der Shoa kämpft, mit der Vergangenheit der Familie Fanto.

Zu Beginn des Buchs wird dem Leser mittels eines gezeichneten Stammbaums die Familie Rosenbaum vorgestellt. Dies erleichtert die Zuordnung der vielen Personen, aus denen eine Grossfamilie nun mal besteht. Das Glossar beinhaltet eine Erläuterung einiger Begriffe des jüdischen Lebens.

Das Buch ist in 2 Erzählstränge gegliedert. Zum einen ist da der Protagonist Viktor, der Grossonkel Geertjes, der mit der Familie in Wien lebt. Dieser Erzählstrang behandelt die Jahre 1914 bis 1942. Der 2. Erzählstrang mit der Protagonistin Geertje behandelt deren Leben, ab ihrer Geburt 1975 bis zu ihrem Studium ab 1994.

Die Familie Rosenbaum ist sehr gebildet, liebt die Künste (vor allem Musik) und ist wissenschaftsorientiert. Allerdings ist das "Jüdischsein" etwas, was Geertjes Familie eher als Makel empfindet. Jegliche Auseinandersetzung mit dem Thema Judentum, sowie der Familiengeschichte im 2. Weltkrieg wird ihr verwehrt, weshalb sie die Konfrontation erst Recht vehement einfordert.

Als Kind bleibt Geertje nichts anderes übrig, um ihre Fragen mithilfe von Büchern, die sie in der Bücherei liest, zu klären.

Mit Beginn des Studiums schließt sie sich einer jüdischen Gemeinde an und mangels Kenntnis der jüdischen Bräuche tappt sie in das ein oder andere Fettnäpfchen.

Sie behält die Ergebnisse ihrer Recherche natürlich nicht für sich, sondern fordert Antworten ihrer Familie.

Eine grosse Rolle in dieser Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit spielt dabei Viktor, ihr Grossonkel, der das schwarze Schaf der Familie ist. Unwissentlich befeuert ihre Familie Geertjes Suche nach der eigenen Identität, da sie ihr regelmäßig vorwirft, wie Viktor zu sein.

Dieser wird als Weiberheld, Schwindler, Betrüger und Schlitzohr dargestellt. Zusammen mit seinem Freund Bubi betreibt er allerhand halbseidene Geschäfte, oft am Rande der Legalität, oder darüber hinaus.

Als dann die Nazis in Österreich einrücken, entwickelt Viktor sich vom schwarzen Schaf zum Helden.

Die beiden Erzählstränge bewegen sich kontinuierlich aufeinander zu, je weiter zum einen Geertje in die Vergangenheit vordringt, und zum anderen Viktor und die Familie versuchen, die Massnahmen der Nazis zu überleben.

Der Schreibstil ist wunderbar lautmalerisch gestaltet, die Verwandtschaft, die Orte in Wien und Nimwegen sowie die Geschehnisse sehr bildhaft gezeichnet.

Der Roman ist sehr vielschichtig, die grauenhaften Verbrechen der Nazis, das vererbte Trauma der Nachfolgegenerationen, die Suche nach der eigenen Identität, unter diesen besonderen Bedingungen, all das kann die Autorin leicht miteinander verknüpfen. Die Schilderungen der Erlebnisse von Juden in der Nazizeit bringen mich zum Schlucken, es ist aber dennoch so gestaltet, das Geertjes Identitätssuche im Fokus bleibt und nicht von Grausamkeiten verdrängt wird.

Der Roman wird definitiv nachhallen. Das Jugendstil Cover, das ein bisschen an Klimt erinnert, gefällt mir sehr gut, auch wenn mir der Bezug zur Geschichte nicht klar ist.

Ganz klare Leseempfehlung.