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Auf zwei Zeitebenen erzählt Judith Fanto hier eine jüdische Familiengeschichte, die vermutlich viele autobigraphische Aspekte enthält. Es geht um Viktor, der im Wien der 1914er Jahre aufwächst und langsam das Erstarken des Nationalsozialismus miterlebt. Gleichzeitig ist er das schwarze Schaf der Familie, denn er will sich nicht an Regeln anpassen, die ihm sinnlos erscheinen. Die Familie kann schlussendlich vor den Nazis fliehen, doch die Vergangenheit schwebt wie ein dunkles Stück Stoff über ihnen. Damit ist der Leser im "Jetzt" bei Geertje angelangt. Sie möchte zu ihrem Judentum stehen, und hat doch überhaupt keine Ahnung, was es heißt und hieß jüdisch zu sein. Nur langsam entdeckt sie die Geheimnisse ihrer Familie und versteht dabei vielleicht auch sich selbst besser.

Judith Fanto hat einen recht leichten und flüssigen Schreibstil, der auch das schwere Thema gut erfasst. Doch leider hatte ich (vieleicht dadurch?) auch immer das Gefühl, dass mir die Figuren zu unnahbar bleiben. Geertje, die mit ihrem Umbenennen in Judith die Familie vor den Kopf stößt bleibt mir zu flach in ihrer Suche nach der eigenen Identität sowie der der Familie. Ich konnte ihr Handeln nur bedingt nachvollziehen und ich hätte mir hier eine etwas tiefergehende Ausarbeitung gewünscht. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Familie und dem Judentum bleibt etwas auf der Strecke, da dieser Erzählstrang Viktors unterbrochen wird. So erscheint manchmal das Erzählte etwas unzusammenhängend.
Viktors Erzählperspektive gefiel mir da etwas besser, er wirkt realer auf mich. Die Reaktionen der Juden auf die Nazis, ihr Glauben an Vernunft fand ich sehr gut dargestellt. Niemand wollte glauben, was passiert und nicht jeder hatte am Ende soviel Glück wie Familie Rosenbaum.

Fanto schreibt in "Viktor" über eine jüdische Familie, die nice jüdisch sein wollte und mit dem Nationalsozialismus Hitlers konfrontiert in ihrer Abneigung bestärkt wird. Es geht um die Frage von Schuld und um die Aufarbeitung der Vergangenheit. "Viktor" ist gut und leicht geschrieben, ich hätte mir jedoch an manchen Stellen etwas mehr gewünscht.