Suche nach den Wurzeln

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Vermutlich ist „Vilma zählt die Liebe rückwärts“ ein (Hör-)Buch, das man liebt oder hasst – und was passierte? Schwang das Pendel mehr zu Liebe oder Hass?

Wir begegnen Vilma, einer kauzigen Mittdreißigerin, die allein in einem von ihrer Großtante geerbten Haus in Oslo lebt. Vilma tut alles, um zum einen Menschen und zum anderen potentiell lebensverkürzenden „Elementen“ aus dem Weg zu gehen. Das würde an sich ganz gut klappen, wäre da nicht der Umstand, dass sie sich als Klavierlehrerin verdingt – da sind Kontakte mit Menschen, noch dazu Kindern (oftmals für das Klavierspiel entsetzlich unbegabten) unvermeidlich. Liebe ist ihr völlig fremd, ist sie doch ohne Eltern aufgewachsen. Doch plötzlich muss sie sich mit Gefühlen auseinandersetzen, als nämlich ihr Vater in ihr Leben tritt, und zwar durch Überbringung der Nachricht seines Todes und eines Bündels Briefen, die von der Beziehung der Eltern erzählen. Und mit einem Mal kann Vilma nicht anders: Sie muss zu ihren Wurzeln finden und ist sich der Hilfe eines Bestatters und eines ihrer Klavierschüler sicher …

Warum glaube ich, dass man dieses (Hör-)Buch eigentlich nur lieben oder hassen kann? Weil Vilma wirklich kurios ist, ihr Regelwerk, das ihrem Leben Struktur und Halt gibt, kommt mir von einem früheren Freund erschreckend lebensnah vor. Natürlich sind Vilmas Regeln, Einfälle usw. bizarr, doch wenn man als Kind keine bis wenig Liebe erfahren hat, sucht man wohl anderweitig Wurzeln. Und wenn die durch unvorhergesehene Ereignisse (das Auftauchen des Vaters) ins Wanken geraten, gibt es vermutlich nur zwei adäquate Reaktionen, nämlich Flucht nach vorn oder endgültiger Rückzug. Letzteres gibt es in der Literatur zwar auch, aber dazu passte Gudrun Skrettings Schreibstil (flüssig, leicht lesbar, durch Vilmas Schrullen von einem eigenwilligen Humor getragen) und Themensetzung nicht: Es geht um Sehnsucht, Krankheit, Ängste; aber mit Liebe, Musik, Hoffnung und dem Mut, sich zu öffnen, auch um Auswege. Demgemäß geht es um die gemeinsame „Reise“, die drei Menschen machen (ohnehin auch eine eigenwillige, aber nicht von ungefähr kommende Figurenkonstellation) und ihre Entwicklung. Wenn man mit den Figuren, allen voran Vilma, nicht warm wird, wird man der Geschichte nichts abgewinnen können. Lässt man sich aber auf die Figuren ein, entfaltet das (Hör-)Buch einen Sog und man wird schwer anders können, als es zu lieben. Nach der Lektüre bleibt das Gefühl, dass da eine Autorin ihre Figuren liebt und ihren Hörern bzw. Lesern eine Botschaft mitgeben will. Wegen einzelner Längen gibt es jedoch keine volle Punktzahl.