Gefühlvoller Roman mit kleiner Botschaft

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verenam Avatar

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Southampton im Jahre 1932. Violet ist alleinstehend und lebt daher mit Ende dreißig immer noch bei ihrer Mutter im Haus. Beide haben im Krieg und der Zeit danach, geliebte Familienmitglieder verloren. Doch während Violets Mutter durch die Trauer immer verbitterter wurde und ihre Launen an ihrer Tochter auslässt, möchte Violet endlich ihr Leben zurück und entschließt sich, dem einnehmenden Griff der Mutter zu entfliehen. Durch ein Stellenangebot im nahegelegenen Winchester sieht sie ihre Chance gekommen und wagt den Auszug. Dort angekommen, lernt sie schon bald die Mitglieder einer Stickgruppe kennen und findet dort schnell Anschluss und eine neue Aufgabe, die sie, abseits ihres Berufes als Schreibkraft, zu erfüllen scheint. Doch so ganz lassen sie die Konventionen ihrer Zeit auch in Winchester nicht los und als sie den Glöckner Arthur kennenlernt, und ihre neuen Freunde in Schwierigkeiten geraten, muss Violet mehr als nur eine mutige Entscheidung treffen.

Violet ist eine mutige Frau in den 30er Jahren des letzten Jahrtausends und wir begleiten sie auf ihrem Weg zur angestrebten Unabhängigkeit. Wir erfahren dabei, dass es in dieser Zeit alles andere als selbstverständlich ist, als alleinstehende Frau seinen Weg zu gehen und müssen während des Lesens auch akzeptieren, dass in manchen Situationen, die Zeit für viele Menschen einfach noch nicht gekommen ist, sich den Veränderungen zu öffnen. Dabei wählt die Autorin sehr sachliche und natürliche Beschreibungen der Szenen und Personen und verzichtet im Umkehrschluss auf blumige Bilder und kitschige Umschreibungen, was meinem Lesegeschmack sehr entgegen kommt. Es entsteht ein sehr realistischer Eindruck der, von ihr gestalteten, Welt und der damaligen Zeit. Sie schafft es zudem, dank ihrer Recherchen, ein authentisches Bild der 30er Jahre und der damals vorherrschenden Regeln und Konventionen zu zeichnen. Dadurch bekommt die Geschichte, in meinen Augen, viel Substanz und das Schicksal von Violet und ihren Freunden wird noch greifbarer. Das die einzelnen Charaktere ebenfalls sehr gut und vielseitig beschrieben sind, unterstützt diesen Eindruck zusätzlich, und sie erscheinen wie echte Persönlichkeiten, mit welchen man mitfühlen kann. In der Handlung wird außerdem auch nicht auf das Mitwirken von Nebendarstellern verzichtet, welche die Geschichte zusätzlich hervorragend abrunden.
Das Ende der Geschichte wiederum bleibt relativ offen, was, für mich persönlich, der einzige Abstrich an diesem Roman ist. Sicher ist das beabsichtigt und kann so die Fantasie des Lesers ein wenig ankurbeln, doch mich hat es, bei der sonst so runden Geschichte, etwas in der Luft schwebend zurückgelassen. Da abgesehen davon, kein beschriebener Teil der Handlung ungelöst bleibt, hätte ich mir hier vielleicht ein noch eindeutigeres Happy End gewünscht.

Wie schon in der Leseprobe vermutet, hat es Tracy Chevalier mit diesem Buch wieder geschafft, einen Roman voller Tiefgang, liebevollen Details und einer guten Portion Gefühl zu schreiben. Für die Zeit und die Personen, aber auch in ihrer Interaktion miteinander. Er zeigt, dass es unerschrockene Frauen und Männer braucht, um etwas in der Gesellschaft zu bewegen und das wird heute, dank der Menschen in der Vergangenheit, zwar ein großes Stück weitergekommen, aber nicht überall bereits am Ziel angekommen sind. Ein Roman mit einer nicht sehr direkten aber doch eindeutigen Botschaft, welcher schon jetzt zu meinen Lieblingsbüchern 2020 zählt.