Bewegtes Leben in ausführlichem Brief zusammengefasst

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gabriele 60 Avatar

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„Ich bin 1920 während der Grippepandemie geboren und werde 2020 während der Coronapandemie sterben“, resümiert Violeta in einem ausführlichen Brief an ihren Enkel Camilo, in dem sie die Geschichte ihres Lebens erzählt.
Geboren während der spanischen Grippe entwickelte sie sich nach vier Brüdern zu einem verwöhnten Gör, das erst durch ihre englische Gouvernante Erziehung genoss. Sie berichtet von der Weltwirtschaftskrise, die ihrem spekulationsfreudigen Vater letztendlich das Genick brach.
Das ganze Buch ist wie ein Brief verfasst und enthält vier Lebensabschnitte. Im zweiten ist sie zwischen zwanzig und vierzig Jahre alt. Sie heiratet, noch bevor sie ihrer großen Liebe begegnet. Sehr intensiv lässt sie uns LeserInnen an ihrer erwachten Leidenschaft teilhaben, an der Unmöglichkeit einer Scheidung und dem Leben mit einem unberechenbaren Liebhaber, mit dem sie zwei Kinder hat. Im dritten Abschnitt wird sie von großen Problemen eingeholt: Tochter Nieves hängt an Drogen und scheint unrettbar verloren. Zudem steht Sohn Juan Martín auf der schwarzen Liste der Militärs. Nach seiner Flucht weiß Violeta lange nicht, ob er mit dem Leben davongekommen ist oder nicht. Schließlich werden im vierten Teil die Toten der Diktatur thematisiert. Während Violetas Bericht die meiste Zeit von ihrem ganz persönliche Leben handelt, geht sie zum Ende hin näher auf den Enkel ein, auf seine Kindheit, die Jugendsünden und sein jetziges Leben als Jesuit.

Wieder einmal ist es Isabel Allende gelungen, mich mit ihren Worten tief ins Buch zu ziehen. Ich durfte nicht nur eine eigenwillige Frau kennenlernen, die es mehrmals schaffte, das Lebenschaos wieder zu ordnen. Gleichzeitig erfuhr ich etwas vom Lebensgefühl in Chile während der vergangenen hundert Jahre.
Dieser fünfte Roman, den ich von Isabel Allende nun gelesen habe, erinnerte mich abschnittsweise an andere Bücher dieser Autorin. In meinen Augen hat die inzwischen 80jährige engagierte Journalistin und Frauenrechtlerin mit diesem Roman ihr bewegtes Leben verarbeitet.
Gefallen hat mir daran, dass am Ende nicht mehr viel von der Aufsässigkeit der Jugend geblieben ist, sondern Altersmilde ohne Reue im Vordergrund steht.
Seite 391: „ Leben hat seine Zeit und Sterben hat seine Zeit. Dazwischen ist die Zeit, sich zu erinnern. Das habe ich in der Stille dieser Tage getan ...“