Annemie und das Dorf der Kirschen

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In „Vor hundert Jahren und einem Sommer“ von Jürgen-Thomas Ernst taucht der Leser in eine ganz andere Welt ein, die doch unserer realen entspringt.

Als Sophie unverheiratet schwanger wird, eilt ihr ein Freund zu Hilfe. Sie wird zu einer Tante weit entfernt geschickt und verbringt dort die ersten Jahre mit ihrer Tochter Annemie. Als sie zurückgeht, kommt Annemie in eine Pflegefamilie ins Dorf der Kirschen. Sie vermisst ihre Mutter schmerzlich und doch fühlt sie sich im Schoß der Familie, die es wirklich gut mit ihr meint, wohl. Und auch mit Jonathan, der mit in der Familie lebt, versteht sie sich gut. Irgendwann, nachdem auch Jonathan das Dorf der Kirschen in Richtung Norden verlassen hat, verlässt Annemie die Familie und durchlebt ereignisreiche und schwierige Jahre im Süden. Als sie viele Jahre später zurückkehrt, begegnet ihr Jonathan wieder und das Leben meint es zunächst gut mit ihnen und ihrem Großprojekt, Kirschen in Glashäusern anzubauen. Doch dann wird der Kontinent von einem schweren Krieg erschüttert, der auch vor den Männern im Dorf der Kirschen nicht Halt macht.

In der Geschichte um Annemie und Jonathan werden weder Zeit noch Ort genannt. Und doch erkennt der Leser einen stillen Ort (vielleicht in den Alpen?) und die Zeit vor dem ersten Weltkrieg (was man aus dem Titel und den Ereignissen schließen kann). Annemie ist eine bedauernswerte, aber auch starke Seele, die viel aushalten muss, aber stets um das Überleben kämpft. Charakteristisch für den Roman sind die weitschweifenden Naturbeschreibungen, insbesondere des Wetters. Der Jahreszeitenwandel wird für jedes Jahr auf’s Neue beschrieben. So sehr mich diese Beschreibungen in der Leseprobe fasziniert haben, wurden sie mir zuweilen dann etwas lang, da mir über lange Strecken manchmal zu wenig passierte und der Autor so sehr die Schönheit der Natur pries. Somit hatte ich ein wenig Startschwierigkeiten mit dem Buch, später allerdings wurde die Geschichte für mich flüssiger, es passierte mehr und die Handlung war schön und tragisch zugleich, was mit wirklich gut gefiel.

Die Idee des Buches und die Umsetzung haben mir aus oben erwähnten Gründen insgesamt gut gefallen, einige Schwäche ist für mich, dass es durch die vielen Beschreibungen zuweilen etwas langwierig erschien. Trotzdem ist das Buch für jeden, der die Sprache und Poesie liebt, ein Lesegenuss. Ich vergebe für „Vor hundert Jahren und einem Sommer“ vier Sterne.