Im Lauf der Jahreszeiten

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
hurmelchen Avatar

Von

Das Augenfälligste an Jürgen-Thomas Ernsts Roman "Vor hundert Jahren und einem Sommer", sind die wunderbaren Naturbeschreibungen und die Sprache, die wie aus dem 19. Jahrhundert gefallen scheint.
Die Geschichte des Mädchens Annemie, die als uneheliches Kind geboren, früh zu Zieheltern gegeben wird, und der im Verlauf der knapp 500 Seiten manch trauriger Schicksalsschlag zuteil wird, ist nicht wirklich originell.
Was der Klappentext anpreist (" Die berührende Lebensgeschichte zweier Menschen, die nicht aufhören zu träumen und damit Berge versetzen."), kann ich nicht ganz unterstreichen. Berührend ist, in der Tat, nur die Unerbittlichkeit der Natur und deren Fülle und Schönheit.
Selten habe ich eindringlichere Beschreibungen des Jahreslaufs und der Vergänglichkeit des Lebens gelesen.
Hierin entfaltet sich Ernsts melancholisch-magische Poesie, die allerdings irgendwann in der Mitte des Buches an Zauber verliert, denn dann hat der Leser das Gefühl, schon zweihundert Sommer und Winter erlebt zu haben.
Anneliese Geschichte, und die ihrer großen Liebe Jonathan, ist dagegen eher banal.
Es wird geliebt, gehasst, vergewaltigt, geboren, getötet,gestorben und gelebt - mal besser, mal schlechter-, aber alles ohne interessante Höhepunkte oder überraschende Wendungen.
Das ganze Buch fließt dahin, im Lauf der Tages - und Jahreszeiten, und hört mit einem Happyend auf.
Viele Handlungsstränge laufen ins Leere und so eindringlich die Natur geschilderte ist, so eindimensional bleiben die Figuren.
Für alle, die die Erzählkunst des 19. Jahrhunderts mögen, und die sich an einer altmodischen Prosa erfreuen, könnte Ernsts Roman ein Highlight sein.