Mit Annemie durch verschneite Täler und über sonnige Hügel

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Im Mittelpunkt des neuen Romans von Jürgen-Thomas Ernst steht das Leben des Mädchens Annemie, welches „vor hundert Jahren und einem Sommer“ als uneheliches Kind zur Welt kommt und bei Pflegeeltern in einem Dorf, das für seine Kirschernte bekannt ist, aufwächst. Der Leser wird Zeuge ihres Heranwachsens, ihrer Liebe zu Jonathan und schließlich dem Verlassen der Heimat und das Bemühen irgendwie zu überleben. Dabei durchläuft Annemie im wahrsten Sinne des Wortes einige an Tälern, sie lebt oft auf der Straße, schlägt sich als Erntehelferin durch. Nach einigen Jahren des Unglücks zieht es sie zurück in das Dorf der Kirschen, in dem nur noch der Ziehvater lebt. Dort beginnt für Annemie endlich eine glückliche Phase und auch die eigentliche Geschichte des Buches entfaltet sich: Annemie versucht zusammen mit Johann das Unmögliche: Sie bauen erfolgreich Kirschen im Glashaus an. Doch natürlich schwebt der Krieg wie eine bedrohliche Wolke über allem und fordert das neue Glück heraus.

Gereizt hat mich an dieser Geschichte, die Geschichte als solche: Kirschen im Glashaus anbauen und noch vor dem Einsetzen des Frühlings ernten. Das klingt für mich völlig abgedreht und originell, auch wenn der Autor vermutlich gar nichts Abgedrehtes schreiben wollte. Das lässt zumindest der poetische und recht gediegene Sprachstil vermuten. Auch das Leben der Hauptfigur Annemie ist so schwer und ernst, dass man an manchen Stellen sehr viel Mitleid mit ihr hat.

Dennoch liegt irgendwie ein Zauber, etwas Märchenhaftes in diesem Roman, dessen Kerngeschichte leider erst so richtig nach etwa 300 Seiten beginnt. Bis dahin braucht der Leser einen langen Atem, um all die Schicksalsschläge zu verdauen. Und da ist noch etwas: Jürgen-Thomas Ernst scheint die poetische Schilderungen der Jahreszeiten zu lieben. Immer und immer wieder durchleben die Protagonisten schneereiche Winter und unerträgliche heiße Sommer. Die sich zu oft wiederholende Beschreibung dessen verliert irgendwann den Reiz und man neigt dazu Passagen zu überlesen. Etwas weniger davon hätte dem Buch gut getan.

Ernst erzählt seine Geschichte wie ein Märchen. Dialoge zwischen den Figuren bleiben dabei auf der Strecke und somit fehlte mir auch die Tiefe der Charaktere. Auch, wenn man Annemie über fast 500 Seiten begleitet, bleibt sie doch nur ein Waisenmädchen mit starkem Überlebenswillen. Aber wer ist sie noch?

Dieser Roman besticht durch seine Geschichte, die den Leser durchaus mitzieht und viele darunter nicht mehr loslassen wird, weil man – dem wahren Leben nachempfunden - immer mit Annemie mit bangt und ihr nur das Beste wünscht. Für mich fehlte am Ende doch die ein oder andere Nuance, die den unverwechselbaren Charakter des Buches noch deutlicher hervor stechen lässt.