Jeder Idiot kann eine Krise meistern; es ist der Alltag, der uns zermürbt.

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"Jeder Idiot kann eine Krise meistern;
es ist der Alltag, der uns zermürbt."
- Anton Tschechow -

Das Motto des Buches gibt den Inhalt und den Ton des Buches sehr schön vor. Es ist das Alltagsleben, es sind die Durchschnittsexistenzen, es ist der amerikanische Mittelwesten, es sind die kleinen und großen Träume vom gelungenen Leben, oftmals geplatzt, dabei hat man sich so bemüht.
Es sind die Jahre 1950 bis 1998, die wir die beiden Brüder Chic und Buddy Waldbeeser und die Personen, die ihnen nahe kommen, begleiten.
Auf den ersten Blick sind das recht mittelmäßige Leben. Man hat einen Job, kauft ein Haus, bekommt Kinder, wahrt den Kontakt zur Familie, wird langsam alt. Und doch stecken in diesen Leben so viele Tragödien, so viele Missverständnisse und Verletzungen, so viel Verlust und auch Verzweiflung.
Aber es geht "voran, immer weiter voran", wie einst ein Urahn der Waldbeesers, einer der Pioniere, in einem überlieferten Brief schrieb. Und so mühen sich die Figuren, versuchen Neuanfänge, alte und neue Schicksalsschläge zu überwinden, trotz allem weiterzumachen.
Da ist zum Beispiel der Selbstmord von Chics und Buddys Vater. Dieser hat sich eines nachts im Winter einfach hinter die Scheune gesetzt und ist erfroren. Grund war wohl die Untreue seiner Frau. Diese bringt auch sehr schnell einen neuen Stiefvater ins Haus und verzieht sich sobald die Jungs aus dem Gröbsten raus sind auf Nimmerwiedersehen nach Florida. Tiefer kann man Kinder nicht verletzen, aber niemand verhandelt das mit ihnen und so tragen sie dieses Trauma bis ins Alter mit sich herum. Sie sind beide etwas eigen, die Waldbeeser-Jungs. Chic schlittert mehr oder weniger in seine Ehe mit Diane hinein, dementsprechend unglücklich wird diese werden, das geliebte Kind stirbt schon früh und das reißt die Eltern in tiefe Verzweiflung. Buddy bringt eine exotische indische Schönheit als Frau mit nach Hause. Auch wenn Lijy in erster Linie ihrem trostlosen Elternhaus entkommen wollte, ist sie ihrem Mann doch ehrlich zugetan und leidet sehr unter dessen Eigenbrödlerei. Um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen, macht sie einen fatalen Fehler und dadurch droht die gesamte Familie zu zerbrechen. Doch auch hier heißt es "Voran, voran". Die Wunden werden nicht analysiert, sondern überkleistert. Glücklich wird man so nicht.

Manchmal schreibt Chic auf, was er empfindet.

"Mein Leben ist nichts
als ein Loch in der Erde
und ich komm nicht raus"

ist eines der Haikus, die er verfasst.

"Der Mensch, der sie liebt, wird Sie eines Tages vielleicht hassen, und Sie können nichts dagegen machen. Auch wenn Sie es versuchen. Und Sie werden es versuchen. Wahrscheinlich wissen Sie das alles schon. Aber das Schlimmste kommt erst noch. Und darum geht es in diesen Gedichten. Das Schlimmste ist, dass Sie es nicht aufhalten können. Nichts davon. Das Leben hat seine eigene Dynamik. Voran, voran, immer weiter voran."

Es ist ein Roman über das Scheitern und das Weitermachen, das Wiederaufstehen nach dem Fallen. Nichts ist danach einfach gut, aber es geht weiter, muss weitergehen. Und wer will bewerten, ob es sich gelohnt hat, ob ein Leben geglückt ist oder eher nicht. Man hat nur das eine.
Ryan Bartelmay begleitet seine Figuren warmherzig, humorvoll, großzügig. Er verschränkt dabei die Erzählung der Vergangenheit mit Einschüben von 1998, Chic ist bereits über sechzig und hofft immer noch auf eine Chance. Der Fokus des Autors springt immer wieder auf andere Personen und Personenkonstellationen und schafft dadurch ein berührendes Panorama des menschlichen Suchens nach Glück.