Eine ebenso skurrile wie meisterhaft konstruierte Geschichte

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christina19 Avatar

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Franz Escher hat einen Wackelkontakt. Die Steckdose in seiner Küche soll daher endlich repariert werden. Während er auf den Elektriker wartet, setzt er nicht nur ein Puzzle zusammen, sondern liest auch noch in einem Buch. Die Hauptfigur darin: Elio, der als Mafia-Kronzeuge in einem italienischen Gefängnis einsitzt.
Währenddessen liest der echte Elio in seiner Zelle ein Buch. Hierin wiederum geht es um einen gewissen Escher, der wegen einer defekten Steckdose auf das Klingeln des Elektrikers wartet…

Was in der Inhaltszusammenfassung nach einem skurrilen Zufall klingt, entpuppt sich bald als geschickt konstruiertes Meisterwerk: Mit „Wackelkontakt“ hat Wolf Haas einen Roman verfasst, der von Beginn an einen solchen Sog entwickelt, dass ich das Buch kaum mehr aus der Hand legen wollte. Darin lernen wir unter anderem Franz Escher kennen, dessen Name sicherlich an den niederländischen Illusionskünstler M. C. Escher angelehnt ist. Der Protagonist ist ein Sonderling durch und durch, er arbeitet als Trauerredner, liebt Puzzle, ist im Bereich der Kunst sehr bewandert und verhält sich bei sozialen Interaktionen oft befremdlich. Eine weitere wichtige Rolle in der Geschichte kommt außerdem Elio zu, der als Kronzeuge im Zeugenschutzprogramm ein rasantes Leben mit unvorhersehbaren Wendungen führt.
Beide Figuren sind Teil von zwei scheinbar getrennten Erzählsträngen. Lediglich das Buch, das sie über den jeweils anderen lesen, verbindet sie anfangs miteinander. Wolf Haas nutzt diesen Twist, um auf gelungene Art und Weise immer wieder Szenenwechsel herbeizuführen. Während des Lesens setzen sich die einzelnen Fragmente schließlich wie Puzzleteile Stück für Stück zu einem Gesamtbild zusammen: Escher, der die Geschichte seines Buches zunächst für fiktiv hält, erkennt nicht nur, dass diese real ist, sondern begreift sich irgendwann auch als Teil des Ganzen. Dies gibt Wolf Haas‘ Roman eine ganze neue Ebene. Der Autor spielt mit den Grenzen zwischen Realität und Fiktion und erzeugt damit wiederkehrend Illusionen.
Sehr gemocht habe ich neben dem raffinierten Aufbau der Geschichte auch den Schreibstil. Haas‘ Sprachwitz hat mich gut unterhalten und dazu beigetragen, dass ich das Buch als sehr kurzweilig empfunden habe.
Kennt man M. C. Eschers Figuren, die auf optischen Täuschungen basieren und daher unmöglich sind, so wirkt „Wackelkontakt“ wie das literarische Pendant dazu – gleichermaßen bizarr und gerade deshalb absolut faszinierend!