Der Unterschied zwischen Liebe und Mitleid

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clara_fall Avatar

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Nach dem Lesen der LP glaubte ich, Elsa und ihr Abschied vom Leben stünde im Mittelpunkt dieses Buches. Jetzt, nach dem Lesen des kompletten Romans, ist es eigentlich ihre Enkelin Anna, die die Hauptfigur dieses eindrucksvollen Werkes darstellt. So kurz vor dem Tod der Großmutter ist sie es, die durch den Fund eines alten Kleides verschwiegene Geschehnisse aus dem Leben ihrer Großeltern und Mutter ans Tageslicht holt und erschrocken feststellen muss, dass diese wiederum Parallelen zu ihrem eigenen Leben darstellen und sie selbst im Begriff ist, die gleichen Fehler zu wiederholen.

Seit frühester Kindheit ist es eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen, mit dem Großvater in der Straßenbahn zu sitzen, sich mitfahrende Leute anzuschauen und sich Geschichten über sie auszudenken. Und so ist es für Anna ein Leichtes, sich auch eine Geschichte zu der Person auszudenken, die der Beziehung ihrer Großeltern einen tiefen Riss zugefügt hat, denn persönlich wird sie sie leider nicht mehr fragen können. Annas Bemühungen, nach Personen zu suchen, die ihre Fragen beantworten können, tragen nur spärliche Früchte. Auch Elsas Schilderungen erfährt der Leser nicht, Eleonooras Erinnerungen sind nur fadenscheinig. Erst nach dem Tod wagt es Anna, Martti zur Rede zu stellen und ihrer Wut Raum zu geben. Man lernt Martti im Buch als ewig zweifelnden Menschen kennen - nicht nur beim Malen, auch in der Liebe. Und so ist es auch sein ständiges Schwanken zwischen zwei Frauen, das letztendlich zur Katastrophe führt. Von seiner Enkelin zur Rede gestellt, sind es eigentlich nur Binsenweisheiten, die er zu seiner Entschuldigung vorbringen kann. Er fühlt sich überfordert, waren es doch früher erfundene Geschichten, die Anna hören wollte und nun soll es auf einmal die Wahrheit sein?

Insgesamt ist dies ein sehr einfühlsames Buch, das sehr realistisch den Umgang von Menschen in der heutigen Gesellschaft darstellt. Der Titel "Wahr" ist für mich in dem Sinne zutreffend, weil alle Beteiligten am Ende des Lebens einer wichtigen Person sich fragen, ob wirklich alles gesagt, getan und verziehen wurde. Eigentlich müsste nun noch ein Fragezeichen hinter diesem Wort erscheinen. Denn es bleiben immer offene Fragen zurück. Das Cover finde ich nach wie vor völlig daneben, es zieht bestimmt nicht das Auge desjenigen auf sich, der auf der Suche nach einem Buch mit Tiefgang ist.