Die erstaunliche Leichtigkeit der Sigrid N.

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francienolan Avatar

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Ja, es gibt sie, diese Geschichten, die nahezu ohne Plot auskommen und sprachlich scheinbar einfach geschrieben sind, aber deutlich mehr enthalten, als auf den ersten Blick zu lesen ist – sie können gar eine Komposition sein, ein Musikstück mit einem ganz unverkennbaren (Erzähl-)Ton, einem „autorentypischen Klang“, der noch lange nachhallt. So ein Buch war „Der Freund“, und so ein Buch ist auch dieses.

Sigrid Nunez hat längst ihren eigenen Sound entwickelt, und ja, ich bin bekennender Fan! Eine einfache, fast sparsame Sprache, die immer präzise, klug, tiefgründig, aber auch selbstironisch klingt (leider geht davon einiges bei der Übersetzung verloren) – aber, Moment mal, hier geht es doch um den (selbstbestimmten) Tod einer krebskranken Frau, oder? Ironie und Tod, gar Humor in so einem Buch, wie soll das gehen?!

Bei Nunez geht das - nicht nur, dass wir lernen, dass auch Sterbende noch gerne lachen, im Grunde schreibt die Autorin hier mittels diverser, todtrauriger Geschichten tatsächlich eine Hommage an das Leben! Und alleine dafür gebührt ihr m.E. höchster Respekt. Ich kann nur feststellen, dass ich ihre leise Art, schwierigste Themen leichtfüßig und dennoch tiefgründig zu verhandeln, einfach mag, dass sie mich extrem zum Nachdenken animiert. Das Buch trieft vor Empathie, und wie sie die in philosophische Gedankenströme übersetzt, ist einzigartig und große Kunst!

Warum dann vier Sterne? Im Gegensatz zum „Freund“ empfand ich das Buch bei aller Begeisterung über die Alleinstellungsmerkmale nicht ganz wie aus einem Guss, nicht ganz so ausbalanciert, vielleicht auch themenüberladen. Bis hin zu Trump kommt alles Mögliche, natürlich Liebe und Freundschaft, aber auch Alter und Klimakatastrophe, der Zustand der Gesellschaft usw. zur Sprache, was verständlich, aber manchmal doch zu weit weg von der Kerngeschichte um die todkranke Freundin ist.

Trotzdem ist die Lektüre, wie immer mit vielen interessanten Zitaten und Anekdoten bestückt, meines Erachtens absolut lesenswert. Man sollte nur kein Rührstück, auch keine große Handlung erwarten und wissen, dass das Thema „selbstbestimmter Tod“ in den USA noch tabubehafteter ist als bei uns. Diese Schwierigkeiten im Umgang mit dem „Tabu Tod“ und unsere Aufgaben im Mitmenschlichen beschreibt Nunez als New Yorker Intellektuelle, und wer damit etwas anfangen kann (und gleichzeitig viel zu Leben & Alter lernen will), wird hier bestens bedient. Ich wünsche Frau Nunez noch viele gute Jahre und uns noch viele weitere Bücher von ihr!