Kluge Gedanken zu existenziellen Themen

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leukam Avatar

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Sigrid Nunez, 1951 geboren, ist eine amerikanische Schriftstellerin, die letztes Jahr mit ihrem Roman „ Der Freund“ auch in Deutschland bekannt wurde. Es geht in jenem Roman, für den sie 2018 den National Book Award erhielt, um eine Frau, die nach dem Suizid eines Freundes dessen Hund, eine riesige dänische Dogge, erbt.
Auch in diesem neuen Buch „ Was fehlt dir“ kreist die Autorin wieder um die Themen Freundschaft und Tod. Die namenlose Ich- Erzählerin besucht eine langjährige Freundin, die unheilbar an Krebs erkrankt ist, im Krankenhaus. Diese bittet sie um Hilfe. Aber nein, sie braucht niemand, der ihr beim Sterben hilft ( dafür hat sie selbst vorgesorgt ), sondern jemand, der sie in der Zeit davor begleitet. Keine leichte Aufgabe. Auch die Ich- Erzählerin fragt sich, ob sie das kann; willigt aber ein. „ Der wahre Grund, warum ich zugestimmt hatte, meiner Freundin zu helfen, war, dass ich hoffte, an ihrer Stelle genau das tun zu können, was sie jetzt tun wollte. …dass das alles eine Art Probe war, dass meine Freundin mir den Weg zeigte.“
Die beiden Frauen beziehen ein schönes Haus an der Küste von Neuengland und verbringen ihre Tage mit einkaufen, kochen, Filme schauen, Märchen vorlesen und mit langen Gesprächen. Dabei wird deutlich, was der Todkranken noch wichtig ist ( immer weniger ), was sie belastet ( das schlechte Verhältnis zu ihrer Tochter ) und was sie nicht braucht ( banale Durchhalteparolen, esoterische Hilfsangebote). Stattdessen will sie bis zum Ende die Kontrolle über ihr Leben. Trotz der ernsten Situation wird auch oft gelacht.
Ein weiterer Bezugspunkt ist für die Ich- Erzählerin ein älterer Collegeprofessor, von dem man erst später erfährt, dass er ihr Ex- Mann ist. Er ist der Einzige, der von dem Pakt der beiden Frauen erfährt. Er ist allerdings niemand, der Trost spenden kann. Tourt er doch mit Vorträgen durchs Land über den bevorstehenden Untergang der Menschheit angesichts des menschengemachten Klimawandels.
Die letzten gemeinsamen Wochen der beiden Freundinnen sind das Zentrum dieses Buches. Drum herum gibt es eine Fülle anderer Geschichten, meist „allertraurigste“, oft über Frauen. Sigrid Nunez erzählt von Frauen, die Probleme haben mit dem eigenen Alterungsprozess, berichtet von unglücklichen Ehen und traurig endenden Liebesbeziehungen. Sie nimmt einzelne Begegnungen mit Menschen oder Zitate aus der Literatur, Szenen aus einem Film zum Anlass, um sich ihre Gedanken zu machen. Das mag irritierend sein für Leser, die den eigentlichen Plot suchen. Tatsächlich machen sich die Freundinnen erst in der Mitte des Buches auf den Weg zu dem Haus am Meer. Wer sich aber auf den assoziativen Erzählstil der Autorin einlässt, wird belohnt mit interessanten Geschichten, kleinen Anekdoten und v.a. mit klugen Überlegungen. (Mag auch die eine Inhaltsangabe eines Krimis zu lang geraten sein. )
Verhandelt „ Was Dir fehlt“ existenzielle Fragen, so ist es doch kein deprimierendes Buch. ( Roman möchte ich es eigentlich nicht nennen, eher einen langen Essay.) Es zeigt stattdessen, worum es geht im Leben, nämlich um Anteilnahme, um das Zuhören und das Interesse an unseren Mitmenschen. Sigrid Nunez hat ihrem Buch ein Zitat von Simone Weil vorangestellt: „ Die Fülle der Nächstenliebe besteht einfach in der Fähigkeit, den Nächsten fragen zu können, welches Leiden quält dich.“