Berührend, fesselnd und schockierend zugleich!

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
nekleenelesemaid1978 Avatar

Von

Ein Buch, dass einen mit solch einer Wortgewalt empfängt, muss man erstmal sacken lassen.
Ich war berührt, gefesselt und auch geschockt.
Berührt von der bedingungslosen Liebe die Phoebe ihrer großen Schwester April in jedem Brief spüren ließ.Gefesselt von dem "Wortreichtum" einer Neunjährigen, die mit ihrer Intelligenz alle und besonders ihre Eltern überragt.Geschockt von der hilflosen Kälte, mit der die Eltern ihrer an Anorexie erkrankten Tochter gegenüber treten.

April ist noch ein Grundschulkind als sie krank wird und schweigt, weil sie spürt, dass ihre Worte keinen Empfänger finden. Nur ihre kleine Schwester dringt zu ihr durch und ist ihr Anker im traurigen von der Magersucht geprägten Alltag. Als April in die Klinik kommt, schreibt ihr Phoebe fast täglich Briefe, ohne jemals eine Antwort zu bekommen. Und doch helfen diese Briefe April etwas Licht in den tristen Klinikalltag zu bringen.

Lilly Lindner hat mit diesem Buch ihren ersten Jugendroman geschrieben. Ihr Debüt "Splitterfasernackt" fand ich sehr verstörend, weshalb ich es nicht zu Ende gelesen habe. Doch diese Wortgewalt hier hat mich beeindruckt. Mit April und Phoebe hat Lindner zwei Persönlichkeiten entwickelt, die soviel gemeinsam haben, aber doch völlig unterschiedlich sind. Und doch glaube ich, dass wenn die Eltern Aprils Hilfeschrei gehört hätten, sich deren Lebensweg ähnlich entwickelt haben könnte.

Kaum zu glauben, dass mich ein Jugendbuch dermaßen berühren kann. An vielen Stellen habe ich innerlich den Kopf geschüttelt, weil ich geschockt und auch verärgert über diese Wut der Eltern war. Die Schuldzuweisungen fand ich herzlos und unverständlich. Phoebe mit ihrer alles umfassenden Liebe steht da im krassen Gegenteil. Sie packt Probleme an, obwohl sie mit ihren neun Jahren noch gar nicht so weit sein kann. Doch ist sie es und das ist bewundernswert.


Der Schreibstil hat mich gefesselt und gefangen genommen, in eine Welt, in der überforderte Eltern die Hilfeschreie ihrer Töchter überhören und lieber die Flucht antreten. Sie verstecken sich hinter Akten und schließen sich ein, und somit ihre Kinder aus. So wie April vor der Realität flüchtet, so flüchten die Eltern vor der Wahrheit, dass sie vieles anders und vielleicht auch richtig gemacht hätten, wären sie nur mit offenen Augen und offenen Herzen auf ihrer älteste Tochter zugegangen.

Lilly Lindner hat mich mit diesem Buch berührt und auch geschockt zurückgelassen. Ihre Art zu schreiben zeugt von einem Wortreichtum, der ihresgleichen sucht.
"Was fehlt, wenn ich verschwunden bin"
wird definitiv ein Highlight in diesem Jahr sein.
Von mir gibt es 5 Sterne!